2018.04

A. M. Jehle / Christine Lederer: "Alle Frauen sind immer daheim"

In Kooperation mit dem vorarlberg museum und der Anne Marie Jehle-Stiftung, Vaduz

Laufzeit: 17. November bis 16. Dezember 2018
Eröffnung: Freitag, 16. November, 19 Uhr

Zwei eindrückliche Positionen
Christine Lederer (geb. 1976 in Bludenz) hat Anne Marie Jehle (geb. 1937 in Feldkirch, verstorben 2000 in Vaduz) nie kennengelernt, dennoch verbindet ihre Arbeit einiges: Der präzise, kritische und politische Blick auf Aspekte des weiblichen Alltags, der Einsatz von Materialien und Techniken, die der vermeintlich weiblichen Domäne des Hauses entnommen sind; die Feinfühligkeit und Kompromisslosigkeit in der Thematisierung des Körpers. Und nicht zuletzt: ein scharfsinniger, widersprüchlicher und teilweise sehr persönlicher Witz im Umgang mit Sprache und Bild, der die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung „Alle Frauen sind immer daheim“ in der Galerie Hollenstein – Kunstraum und Sammlung ganz unmittelbar anspricht und herausfordert.

Essentielle Themen
Das Haus und das Zuhause, das Heim und das Daheim sind zentrale Kategorien in A. M. Jehles Werk. Sie reiht sich damit ein in eine künstlerische Tradition der Nachkriegszeit, die nicht nur die sozialen und kulturellen Beziehungen des Individuums mit dem Raum neu auslotet, sondern auch nach den politischen und ökonomischen Wechselwirkungen zwischen Häusern und ihren Bewohnern fragt. Das Zuhause ist dabei nicht selbstverständlich positiv konnotiert, es kann auch Ort der Unterdrückung oder des Widerstandes sein. Hier setzten auch jene feministischen Künstlerinnen der 1970er Jahre an, die sich mit dem Haus als vermeintlich „natürlich weiblichem Umfeld“ beschäftigten und sich der damit in Zusammenhang stehenden Motiven, Materialien und Techniken bemächtigten.

Polaroids als Ausdrucksmittel
In diesem Kontext der häuslichen Medien, Techniken und Materialien ist auch die Arbeit mit der Polaroid-Kamera zu sehen. Bereits zu Beginn der 1970er Jahre besaß A. M. Jehle eine solche Sofortbildkamera, die ihr zum wichtigen Instrument und Werkzeug wurde: In ihrem Nachlass befinden sich heute über 300 Polaroid-Arbeiten. Dieses Werkkonvolut ist damit eines der umfangreichsten im Nachlass und beinhaltet sämtliche inhaltlichen, motivischen und methodischen Aspekte ihrer künstlerischen Arbeit vom Beginn der 1970er Jahre bis zum Ende ihrer künstlerischen Arbeit 1989. So legt die Ausstellung den Fokus mit gutem Grund auf diesen Werkkomplex, der nicht zuletzt die zentralen Verschiebungen von Jehles Arbeit – auch nach ihrem Rückzug aus dem öffentlichen Leben – nachvollziehen lässt.

Emanzipationsprozesse vs. Häuslichkeit
Auch Christine Lederer reflektiert in ihren Arbeiten gesellschaftliche Rollenmuster, macht aufmerksam auf die Missstände und Bruchstellen als Frau, (alleinerziehende) Mutter und Künstlerin in unserer Gesellschaft, in unserem Land, in unserer Zeit. Diese Verortung geschieht durch geschichtsbeladene Utensilien aus dem Umkreis ihrer Familie ebenso wie durch handbemalte Protestierschilder oder ein Sammelsurium unterschiedlicher Phalli aus dem 3D-Drucker. Wichtig sind ihr dabei die Zusammenstellung und das In-Beziehung-Setzen der Objekte.

Grenzerfahrungen
Im Rahmen der Ausstellung lotet Lederer die Grenzen ihrer eigenen Existenz aus. Dazu baut sie eine künstliche Wohnlandschaft, die an ein überdimensioniertes Puppenhaus erinnert: Der Küchenblock mit aufklappbarem Backrohr, darin der verkohlte Kuchen ihrer Vorfahren. Den Kühlschrank zieren Post its, darauf unter anderem der Spruch des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul: „Es ist, als hätten die Frauen der westlichen Welt einen roten Knopf, auf dem ‚Schuldgefühl‘ steht.“

Interieur der (Un-)Möglichkeiten
Zwischen den imaginierten Räumen findet sich ein lebensgroßes Porträt der Künstlerin: Nackt, bedeckt nur von einem türkisen Bügelbrett, auf dem Kopf ein Strang Hanf aus Familienbesitz, die Schlingen zu einer barocken Perücke aufgetürmt.
Das Esszimmer? Eine Reminiszenz an die verhassten Täferwände ihrer Kindheit, der Stuhl ein Fundstück vom Sperrmüll, weich gepolstert mit Tampons in allen Größen. Was gibt es zu Essen? Das begehrte Fast Food des Sohnes hat die Künstlerin über viele Stunden aus Holz nachgeschnitzt. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Oder einen Blick auf die kleine Fotoarbeit an der Wand wirft, in der ein Frühstücksei auf fast beängstigende Weise Donald Trump ähnelt. Werktitel: „Mr. Trump, I will eat you now!“

Im Schlafzimmer ersetzt das Fußteils von Omas geliebtem Kirschbaumfurnierbett die intime Schlafstätte, daneben hängt eine alte Bettdecke, aus deren Innerem zwei gelbe Gummihandschuhe ragen, die mit ihren Händen eine imaginierte Scham bedecken. Der Schlafzimmererotik geschuldet, läuft vis à vis im Fernseher auf der Kommode ein Video, in dem die Künstlerin einen Pole Dance darbietet – in Zeitlupe.

„Alle Frauen sind immer Daheim“ las Christine Lederer bei der Durchsicht von Anne Marie Jehles künstlerischer Hinterlassenschaft als Titel einer mehrteiligen Polaroid-Arbeit. In seiner offensichtlich ironisch gemeinten Generalisierung fand sie den Tenor für eine gemeinsame Ausstellung wunderbar veranschaulicht. Die Kuratorinnen übrigens auch.

Kuratiert von Claudia Voit und Kathrin Dünser.

 

Programm


Freitag, 16. November, 19 Uhr
Eröffnung
Kurt Fischer, Bürgermeister
Kathrin Dünser, Kuratorin
Christine Lederer, Unsere Zeit. Ein Puppentheater

Samstag, 17. November, 16 Uhr
Polaroid-Workshop: „Emulsion Lift“
Experimentelles mit Heinz Bösch von Polaroid Originals. Anmeldungen unter: galerie.hollenstein@lustenau.at
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Sonntag, 2. Dezember, 11 Uhr
Dialogführung
Kuratorin Kathrin Dünser und Künstlerin Christine Lederer führen durch die Ausstellung.
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Freitag, 14. Dezember, 19 Uhr
Künstleringespräch
Pauline Doutreluingne (Kuratorin, Berlin) spricht mit Künstlerin Christine Lederer.
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Der Eintritt zu den Veranstaltungen ist frei.

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