2020.02

Artists in Residence 2020: Margarita Rozhkova und Anne Zühlke

Juli bis September 2020

Die zweite Hälfte des Jahresprogamms startet mit einem Arbeitsaufenthalt der Künstlerin Margarita Rozhkova aus Berlin sowie der Kunstwissenschaftlerin Anne Zühlke aus Wien. Die beiden Stipendiatinnen wurden aus 35 Bewerberinnen und Bewerbern für das jährlich vom Druckwerk Lustenau, dem S-MAK und dem DOCK 20 ausgeschriebene Residency-Programm ausgewählt. Als diesjähriger Arbeitsschwerpunkt ist die Sammlung des S-MAK vorgegeben, welche Objekte und Textilien beinhaltet, darunter rund 300 hochwertige Stickereikleider, zahlreiche Musterbücher und -zeichnungen, das Musterschutzarchiv des ehemaligen Stickereiverbandes, Stoffe und Bildmedien. Zusätzlich umfasst die Sammlung kleinere und größere Maschinen für die Stickereiproduktion

Die Jury setzte sich zusammen aus den Vertretern und Vetreterinnen der kooperierenden Institutionen, Grundlage für die Entscheidung waren die eingereichten Arbeitsproben sowie die Exposés. Die beiden Stipendiatinnen konnten mit einem präzisen und eigenständigen Blick auf unsere Sammlung, basierend auf teilweise bereits umfangreichen Recherchen überzeugen.

"far away land" – die Ausstellung

 

Margarita Rozhkova und Anne Zühlke
„far away land“
3. September bis 1. November 2020 

Die Textilkünstlerin Margarita Rozhkova und die Kulturwissenschaftlerin Anne Zühlke wurden für das diesjährige von den Lustenauer Institutionen S-MAK, Druckwerk und DOCK 20 ausgeschriebene Arbeitsstipendium ausgewählt. Sechs Wochen lang beschäftigten sie sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der lokalen Textil- und Stickerei-Geschichte, durchforsteten die Archive und führten zahlreiche Interviews. Die entstandenen Arbeiten konterkarieren die seit Jahrzehnten als wirtschaftliche Erfolgsgeschichte erzählten Handelsbeziehungen zwischen Lustenauer Stickerei-ProduzentInnen mit Nigerianischen AbnehmerInnen. Aus der Lustenauer Erzähl-Perspektive ist mit dem titelgebenden „far away land“ der „ferne" afrikanische Absatzmarkt gemeint, tatsächlich zitieren Rozhkova und Zühlke aber aus dem Song „Why Black Man Dey Suffer“ des nigerianischen Afro-Beat-Musikers Fela Kuti, der mit den Textzeilen „Some people come from far away land / Dem fight us and take our land“ in den 1970er Jahren die durch die Kolonialisierung deformierten Gesellschaftssysteme in Afrika kritisierte. Die Umkehrung des Blicks und Thematisierung der eigenen Perspektive wird zum zentralen Thema.


Margarita Rozhkova, Anne Zühlke
„Die Umstände waren halt einfach katastrophal aber das Ergebnis blendend…“
Zwei-Kanal-Video, 6 min., digitalisierte Archivfunde von VHS, Dia, Analogfotografie

Die Zwei-Kanal-Video-Installation basiert auf den verschiedenen Materialfunden aus den Lustenauer Archiven sowie einigen schlagwortbasierten Internetrecherchen. Die Interviews mit ZeitzeugInnen, die vielen archivierten, aber noch ungeordneten VHS-Kassetten sowie die umfangreiche Sichtung vergangener Werbekampagnen und Schriftquellen bezeugen eine komplexe und ambivalente Verstrebung der beiden geographischen Orte Lustenau und Nigeria.
Die Videoarbeit reflektiert die Erzählung der Erfolgsgeschichte des sogenannten „African Lace“ im Hinblick auf den gesellschaftspolitischen Diskurs, den der bestickte Stoff sowohl in Lustenau als auch in der Gesellschaft der damals noch jungen Nation Nigerias bestimmt hat. Die Folgen des Erdölbooms in dieser Zeit generierten eine völlig neue, finanzstarke Gesellschaftsschicht in Nigeria, die den KundInnenstamm der österreichischen Spitzen bildete: Die Öl-Klasse. In Österreich mitunter mit Trachten gleichgesetzt, stellte ihre Mode ein medial viel diskutiertes Politikum dar.
Bis in die neunziger Jahre hinein reichte die Hoffnung der Lustenauer ProduzentInnen, ihre Absatzmärkte halten zu können, während der globale Textilmarkt sich neu ausrichtete.

Margarita Rozhkova
´“the head”
Handbestickte Baumwolle, maschinenbesticktes Organza, Leder, Metall, Ton

“the head” ist eine Reflexion über die Vorstellung von „African Lace“ als ethnologisch irreführende Bezeichnung. Sie konzeptualisiert die glamouröse Überblendung der Komplexität und Ambiguität der an ihrer Entstehung beteiligten Prozesse.
Die Plastik ist die textile Verkörperung der Verflechtung des Self Empowerments der postkolonialen nigerianischen Ölklasse mit dem Lustenauer Profitstreben, die ihre materielle Manifestation in maschinenbestickten Textilien fand. Margarita Rozhkova legt sie an als bewusste Fetischisierung der kulturellen Artefakte und Symbole, die für Produktionsmittel, Ermächtigung, Verehrung und Konflikthaftigkeit stehen. Der Kopf bezieht sich auf einen der Bronzeköpfe von Ife (dem kulturellen und kommerziellen Zentrum der Yoruba), der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Nigeria ausgegraben wurde und sich bis heute im British Museum in London befindet. Er ist zu einem Symbol für Schönheit und Stolz geworden, steht aber auch für die Kontroverse um das Verschweigen und Leugnen seiner Herkunft und seiner SchöpferInnen. Der Kopf (ori) hat in der Kultur der Yoruba generell eine heilige Bedeutung.
Die Vernarbungen des Kopfes sind von Hand gestickt. Die sogenannte Radhaube ist einem Trachtenkopfstück aus der Region Vorarlberg nachempfunden. Ursprünglich handbestickt und in der Lamee-Technik (Lamee Spitze) hergestellt, wurde sie in diesem Fall in einer örtlichen Stickerei maschinell bestickt.

Margarita Rozhkova, geb. 1990, lebt und arbeitet in Berlin.
Anne Zühlke, geb. 1991, lebt und arbeitet in Wien.

 

 

 

Rahmenprogramm

 

03.09.2020 / 19.00 Uhr
Eröffnung:
Anne Zühlke und Margarita Rozhkova – Residency Stipendiatinnen 2020 (kleiner Ausstellungsraum)
Nana Mandl – „dropping distance“ (großer Ausstellungsraum)
Begrüßung: Claudia Voit, zur Ausstellung spricht: Anne Zühlke

04.09.2020 / 16.00 Uhr
Dialogführung: Künstlerin Margarita Rozhkova und Kunstwissenschaftlerin Anne Zühlke erzählen über ihren Arbeitsaufenthalt in Lustenau und ihre Recherche zur lokalen Stickereitradition
Teilnahme frei mit gültigen Ausstellungsticket

 

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