2023.03

©Stephan Sachs 1993 3

Fallende Helden.
Künstlerische Strategien des Erinnerns und Gedenkens

Mit: Rosa Andraschek, Karin Berger, Talya Feldman, Künstler*innengruppe Schandwache, Stephan Sachs, Sarah Schlatter und Stefania Smolkina

​Laufzeit: 16.09.2023 – 14.01.2023
Eröffnung: 15.09.2023

Die Ausstellung, entstanden innerhalb des Projekts „Solidarische Erinnerungskultur“ in Kollaboration mit dem Projekt #OhneAngstVerschiedenSein des Jüdischen Museums Hohenems, versammelt sieben künstlerische Positionen, die sich mit blinden Flecken, politisch umkämpften Orten und hartnäckigen Erinnerungslücken der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf die Geschichte des Nationalsozialismus in Vorarlberg, Österreich und darüber hinaus befassen.

Rosa Andraschek, Karin Berger, Talya Feldman, die Künstler*innengruppe Schandwache, Stephan Sachs, Sarah Schlatter und Stefania Smolkina entstammen unterschiedlichen Künstler:innengenerationen, leben an verschiedenen Orten innerhalb Europas und arbeiten sowohl mit zeitbasierten Medien wie Fotografie und Film sowie mit Installationen und Malerei. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie Erzählungen jener Betroffenen in den Mittelpunkt der Ausstellung stellen, deren Stimmen seit Jahrzehnten ungehört geblieben sind - zugunsten der Konstruktion eines homogenen Erinnerungsnarratives. Sie nähern sich kritisch an jene Denkmäler an, die einseitige und teilweise revisionistische Geschichtsbilder transportieren, verweisen auf Leerstellen der Erinnerung oder schaffen mit ihren Arbeiten eigene, der Klage gewidmete Monumente der Trauer.

Wem gedenken wir, wenn wir der Opfer des Nationalsozialismus und der Shoah gedenken? Welche Ausdrucksformen kennt die österreichische Erinnerungskultur? Und wer ist überhaupt Teil des erinnernden Kollektivs? Die um diese Frage kreisenden gesellschaftlichen und medialen Debatten der letzten Jahrzehnte können als Spiegel der gegenwärtigen Gesellschaft verstanden werden. Zwar hat die sogenannte „Opferthese“, die Österreich als erstes Opfer des NS betitelt, inzwischen an Bedeutung verloren, doch eröffnen sich dadurch neue herausfordernde Fragen, die auf Antworten warten. Sie fordern die Gesellschaft heraus, Position zu beziehen und bestehende Perspektiven zu hinterfragen.

Das Eingedenken in die Geschichte erfordert die Historisierung der Gegenwart und eine Auseinandersetzung mit historischen Kontinuitäten, von denen bis heute kaum jemand sprechen möchte. Dazu gehören die Verschränkung des Weltkrieg-Geschehens mit kolonialen Machtverhältnissen: Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und seiner Ideologie wären ohne den Einsatz unzähliger sogenannter Kolonialregimenter nicht möglich gewesen. So waren es unter anderem marokkanische Gebirgsdivisionen, die Vorarlberg im Mai 1945 vom Nationalsozialismus befreiten. Ihre Spuren und ihre Nachfahren existieren bis heute, ihre Lebensgeschichten sind gezeichnet von Stigmatisierung. Im Umgang mit den sogenannten „Besatzungskindern“ (Nennen wir sie lieber: „Kinder der Befreiung“) zeigen sich beispielhaft blinde Flecken der bestehenden Erinnerungskultur. Von den Nachkommen erfahrener struktureller Rassismus sowie die geschlechterspezifische Gewalt, die die Mütter erlebt haben, wird kaum thematisiert und der „Marokkanerstern“ in Feldkirch ist bis heute kein offizielles Denkmal.

Um eine solidarische Erinnerungskultur zu etablieren, die verschiedene Opfergruppen – etwa Sinti*zze und Rom*nja, Nachfahren von Zwangsarbeiter:innen und Soldaten der Alliierten, Überlebende der Shoah und ihre Kinder und Enkel – nicht gegeneinander ausspielt und Konkurrenzen entstehen lässt, müssen deren Erfahrungen miteinander in Beziehung gesetzt und kontextualisiert werden.

 

Die langjährige, kritische Arbeit von Historiker:innen und Archivar:innen erfährt mitunter zu wenig Resonanz, würde sie doch die bestehende Erinnerungskultur, die auf dem Konzept individueller Trauer und der Repräsentation von Leid basiert, infrage stellen. Sichtbar wird diese „innere“ Spannung vor allem in Debatten rund um Kriegerdenkmäler und das jährliche „Heldengedenken“, die auch in Vorarlberg nach wie nicht abgeschlossen sind. In einem umfangreichen Rahmenprogramm, das sowohl in den Räumen des DOCK 20 sowie des Jüdischen Museums stattfinden wird und über den künstlerischen Zugang hinausgeht, werden diese Themen in Diskussionsrunden, Vorträgen und Filmvorführungen weiterführend behandelt und öffentlich diskutiert. Mit einem kritischen Blick in die Vergangenheit schaut die Ausstellung somit optimistisch in die Zukunft.
 

Text: Anne Zühlke

Künstler:innen

 

Rosa Andraschek ist eine in Wien lebende Künstlerin. Vornehmlich mit Fotografie, aber auch anhand von Video- und Soundarbeiten sowie durch Interventionen im öffentlichen Raum, beschäftigt sie sich mit Kontinuitäten der NS-Zeit, die sich als Schichten überall zeigen. Dem
Wegsehen, sowie der Unsichtbarkeit von Geschichte im Heute wird in den Arbeiten besondere Aufmerksamkeit geschenkt. 2022 erhielt sie den Förderpreis des Landes Salzburgs und des Salzburger Kunstvereins, 2021 das Ö1 Talentestipendium für bildende Kunst.

Karin Berger ist Regisseurin und Autorin. Ihre Dokumentarfilme, Publikationen und Installationen bewegen sich vorwiegend in zeitgeschichtlichen und feministischen Kontexten. Sie verfolgt darin politische und biografische Spuren in der Geschichte und verknüpft sie mit der Gegenwart. Ihr jüngster Film WANKOSTÄTTN – Ein Überlebender erzählt, erhält bei der Diagonale 23 den Preis für den besten Kurzdokumentarfilm. Sie lebt in Wien.

Talya Feldman ist eine Medienkünstlerin aus Denver, Colorado. Sie studierte an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und der School of the Art Institute of Chicago. Ihre künstlerische Arbeit ist geprägt durch eine interkulturelle und kollaborative Praxis. Für ihre Arbeiten gegen den rechten Terror in Zusammenarbeit mit aktivistischen und forschungsbasierten Netzwerken in Deutschland und im Ausland hat sie weltweite Anerkennung erhalten. Feldman erhielt unter anderem den Bundespreis für Kunststudenten in Deutschland 2023, den Berenberg Kulturpreis 2022, den Stipendienpreis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und den DAGESH Kunstpreis 2021.

Die interdisziplinäre Künstler*innengruppe Schandwache besteht aus Anna Witt, Simon Nagy, Gin Müller, Mischa Guttmann und Eduard Freudmann. Sie formierte sich 2020 als Reaktion auf die „Schande“-Interventionen am Lueger-Ehrenmal in Wien mit dem Ziel, die Graffiti vor der Entfernung zu bewahren und eine radikale Umgestaltung des Ehrenmals zu fordern.

Stephan Sachs arbeitet im Bereich Experimental- und Dokumentarfilm. Er studierte an der Ecole des Beaux Arts de Nantes sowie der Kunstakademie Düsseldorf, wo er von 1989 bis 2003 einen Lehrauftrag für Film innehatte. Seit 2005 ist Professor für „Film/ time based media“ an der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Er wurde unter anderem ausgezeichnet mit dem Preis der deutschen Filmkritik 1994.

Sarah Schlatter ist Künstlerin und Designerin und lehrt an der FH Vorarlberg im Fachbereich Intermedia und Gestaltung. Inhalte ihrer Arbeit sind die Wahrnehmung und Kontextualisierung von Zeitgeschichte sowie von soziokulturellen Umbrüchen in der Stadt- und Regionalentwicklung. Ihre Arbeitsweise ist visuell forschend. In Vorarlberg hat sie mit der Ausstellung „HIER. Gedächtnisorte in Vorarlberg 39–45“ im JHM sowie der Ausstellung „Anschlüsse“ 2017 in der Galerie Hollenstein zur Aufarbeitung von Zeitgeschichte beigetragen. Sie lebt in Vorarlberg und Berlin.

Stefania Smolkina ist Künstlerin und Filmemacherin mit dem Schwerpunkt auf Recherche. Ausgebildet als Textil- und Medienkünstlerin, arbeitet sie vor allem mit bewegten Bildern an der Schnittstelle von Dokumentation und Fiktion. Ihre recherchebasierten Filme und Installationen untersuchen die Textur von Erinnerung.

 

Rahmenprogramm zur Ausstellung

 

15.9.2023: Vernissage und Konzert


19 Uhr: Eröffnung, 20 Uhr: Konzert HuröLia.
Mit Drinks, Snacks, Artist-Talks und einem Konzert des Analog-Punk-Duos HuröLia. eröffnen wir die Ausstellung. In ihren Songs widmen sich die beiden Wälderinnen dem traditionellen Liedgut der Region und stellen Althergebrachtes mit Gitarre, Geige, Akkordeon und Trommeln von den Füßen auf den Kopf. Ort: DOCK 20
 

24.9.2023, 14 Uhr: Tag des Denkmals: denkmal [er : sie : wir] leben


Öffentliche Führung
Worüber Kriegerdenkmale nicht erzählen: Der „Heldenhof“ bei der Pfarrkirche Sankt Karl. In seiner Führung zeigt Johannes Spies Entwicklungs- und Konfliktlinien der Erinnerungskultur bis hin zur Gegenwart auf und spricht über Erinnerungskultur im Jüdischen Viertel von Hohenems. Mehr Infos auf: www.jm-hohenems.at. Ort: Pfarrkirche St. Karl, Hohenems

7.10.2023, 18 – 1 Uhr: Lange Nacht der Museen mit Apéro und Sammlungsschau


Das DOCK 20 lädt zu Apéro und Kurzführungen durch die Ausstellung. Gabriele Bösch gibt außerdem Einblicke in die Sammlung und Geschichte von Stephanie Hollenstein. Ort: DOCK 20
 

19.10.2023, 18 Uhr: Apéro-Führung


Kuratorin Anne Zühlke vermittelt in einer Kurzführung Einblicke und Hintergründe zur Ausstellung und dem Projekt „Solidarischer Erinnerungskultur“. Keine Anmeldung notwendig. Eintritt frei. Ort: DOCK 20
 

5.11.2023, 16 Uhr: Heldengedenken? Helden verrenken! Performance, Vortrag und Gespräch


Auf zur Heldendämmerung! Eine performative Intervention in die überfällige Tradition des „Heldengedenkens“ mit Stella Myraf Krausz (Performance) und Leah Dorner (Arrangement). Elina Kränzle (Stadtforscherin) spricht in
einem Vortrag über die jährlich stattfindenden Erinnerungs-Performances an geschichtsrevisionistischen Kriegerdenkmälern und diskutiert mit Kurt Greussing (Sozialwissenschaftler) Problem- und Leerstellen der Vorarlberger Denkmal- und Erinnerungskultur. Ort: Jüdisches Museum Hohenems
 

 

25.11.2023, 19 Uhr: Kinder der Befreiung. Der Marokkanerstern in Feldkirch: Screening, Gespräch und Live-Collage


Bis heute prangt in Feldkirch der sogenannte Marokkanerstern. Das Relikt erzählt die Geschichte der 4. Marokkanischen Gebirgsdivision, die im Mai 1945 Feldkirch befreite. Stefania Smolkina (Künstlerin) rekonstruiert mit Renate Huber (Historikerin / Organisationsentwicklerin) die komplexen Erzählungen und Ebenen, die sich über den Stern herleiten lassen. Sie reichen von Casablanca nach Rom bis in den Bregenzerwald, versammeln individuelle Stimmen von Nachfahren und Zeitzeug:innen und setzen kritische Akzente an Leerstellen der Erinnerung in Vorarlberg, die bis heute nicht benannt werden. Ort: DOCK 20
 

2.12.2023: „Jenseits des Krieges“: Kino und Gespräch mit Ruth Beckermann


17 Uhr: Filmvorführung „Jenseits des Krieges“ (1996)
19 Uhr: Gespräch mit Ruth Beckermann und Meinrad Pichler
Die österreichische Dokumentarfilmerin versammelt in ihrem Film von 1996 Stimmen und Reaktionen der Besucher:innen auf die „Wehrmachtsausstellung“ in Wien, die aufgrund ihres Fokus auf die Frage nach der individuellen Schuld der Soldaten kontrovers diskutiert wurde. Die Wanderausstellung wurde in fast allen Bundesländern Österreichs gezeigt – nicht jedoch in Vorarlberg. Gemeinsam mit Ruth Beckermann und Meinrad Pichler (Historiker) wollen wir über die noch immer aktuellen Fragestellungen der Ausstellung und die heftigen Kontroversen sprechen, die sie auslöste. Wo steht der (Vorarlberger) Erinnerungsdiskurs gegenwärtig?
Ort: DOCK 20
 

14.1.2024, 18 Uhr: Finissage


Mit Drinks und Snacks
Ort: DOCK 20

 

Vermittlungsangebote für Kinder und Jugendliche

 

11.11.2023, 14.30 Uhr: Kinderprogramm: Experimentieren, staunen, basteln


Unter Anleitung von Kunstvermittlerin Christa Bohle können sich Kinder kreativ mit der Ausstellung auseinandersetzen, darin vorkommende Materialien kennenlernen und spielerisch damit experimentieren. Ab 5 Jahren, Dauer: 2,5 Std., Materialien / Getränke vorhanden, Teilnahme kostenlos. Anmeldung: christa@bohle.co.at
 

Workshops für Schulklassen und Gruppen


Vermittlerin und Künstlerin Bianca Lugmayr bietet begleitend zu den Ausstellungen Vermittlungsformate für Schulklassen an. In ihrer Arbeit ist es ihr ein Anliegen, gemeinsam mit den Schüler:innen Denkräume zu öffnen, neue Perspektiven auf die Ausstellung zu entwickeln und sie zu einer eigenständigen Beschäftigung mit den Themen der beteiligten Künstler:innen zu ermutigen. Termine können individuell auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten vereinbart werden. Kontakt: dock20@lustenau.at

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