Feature: Nataliya Ilchuk's "Livemusic"

"Livemusic" (2021), Videofootage, Loop, 2min

The work shows young people at a drum'n'bass concert in 2007. The hard, fast, electronic music makes the bodies move in a similar rhythm to the machines of the many factories in the city that forms the site of the action in the film. Analogous to the enormous pollution of the air by the exhaust fumes of the factories, Ilchuk ponders how to cope with the pile of trash of images and videos that keeps accumulating with increasing technologization. Her answer: recycling. "Livemusic" is thus not only a portrait of post-Soviet youth in Ukraine, but also a reflection on the meaning of images and their afterlife in the age of digitality. With DOCK 20 she talked about her artistic strategies.
 

(für die deutsche Übersetzung des Interviews nach unten scrollen)

 

 

DOCK 20: How are you doing? Where do you live now, how were your life plans upset by the war?

Nataliya Ilchuk: I have been working on a research proposal for a couple of past years, planning to apply to programs abroad and fortunately I have been accepted in autumn 2022 as a PhD candidate at CY Cergy Paris University so now most of the time I’m in France. My project is an autoethnographic study of an individual identity opposed to a collective identity that I attempt to implement avoiding any kind of self-censorship.

D20: Right now, politics and pictures of destruction and war are all over the place. How do you perceive them?

NI: Over time, people in general react less and less emotionally to the pictures of war because of the overabundance of these images of destruction that gradually become just a normal part of their feed. Everyone is used to blockbuster visual effects since decades already which accustomed to a feeling of distance to harsh reality. I wouldn’t want the war images to be what associates the most with Ukraine because it brings out a lot of speculation.

D20: Your work “livemusic” (2021) is made up only from already existing visual material. How do you choose your pictures and topics?

NI: I aim to work with subjects that are not so widespread because I believe that artists should speak about things that no one else speaks about, to pay attention to marginalized characters and overlooked themes that are not regarded as important by the majority, rather than follow the current political agenda in order to be considered relevant.

D20: How do you think digital and media art can intervene in this thread of more and more pictures and visual information surrounding us?

NI: I started working with archives rather than producing new terabytes of footage not only because of the conscience of digital pollution but also after realizing how much of our past is not captured and preserved or just even properly assessed. On the other hand, the already existing material allows its new reading in the light of actual context. It helps reevaluate the past and perceive the present more critically.

D20: What can we ‘learn’ for the future from these pictures of the past?

NI: There’s a common thought now prevailing that the experience of the past wars hasn’t taught anything, but I think the problem is that the images we’re surrounded with are built predominantly on the effect of spectacularity, especially in film industry, therefore they don’t really reflect the past directly but manipulate it accordingly with the author’s desired effect to reinforce the emotional impact which leads to distortion of the truth.

D20: The analogy of electronic music and industrial production is a virulent for the last years. What specifics do you see regarding this music scene in Ukraine and your personal past?

NI: I’m interested more in sound for film and video than in music now. The sound part of the videowork “livemusic” is made from bugs that occurred during digitizing my miniDV archive, something that usually should be cleaned or thrown out, something that is created accidentally by a machine rather than by a human, and actually within my artistic practice most interesting things happen when I intrude as little as possible during the creation process and just let the things reveal themselves as they are.

 

Video and media artist Nataliya Ilchuk was born in 1985 in Lviv. After studying film in Kyiv and Warsaw, she graduated from Le Fresnoy - Studio National des Arts Contemporains in France in 2020. 

 

 

"Livemusic" zeigt junge Menschen bei einem Drum'n'Bass-Konzert im Jahr 2007. Die harte, schnelle, elektronische Musik bringt die Körper in einen ähnlichen Rhythmus wie die Maschinen der vielen Fabriken in der Stadt, die den Ort der Handlung im Film bildet. Analog zur enormen Luftverschmutzung durch die Abgase der Fabriken fragt sich Ilchuk, wie man mit dem Müllberg an Bildern und Videos umgehen soll, der sich mit zunehmender Technologisierung immer weiter anhäuft. Ihre Antwort: Recycling. "Livemusic" ist somit nicht nur ein Porträt der postsowjetischen Jugend in der Ukraine, sondern auch eine Reflexion über die Bedeutung von Bildern und deren Nachleben im Zeitalter der Digitalität. Mit dem DOCK 20 sprach sie über ihre künstlerischen Strategien.

 

DOCK 20: Wie geht es dir? Wo wohnst du jetzt, wie wurden deine Lebenspläne durch den Krieg durcheinandergebracht?

Nataliya Ilchuk: Ich habe in den letzten Jahren an einem Forschungsprojekt gearbeitet und wollte mich für Programme im Ausland bewerben. Glücklicherweise wurde ich im Herbst 2022 als Doktorandin an der Universität CY Cergy Paris angenommen, so dass ich jetzt die meiste Zeit in Frankreich bin. Mein Projekt ist eine autoethnografische Studie über eine individuelle Identität im Gegensatz zu einer kollektiven Identität, die ich unter Vermeidung jeglicher Art von Selbstzensur zu realisieren versuche.

D20: Im Moment sind Politik und Bilder von Zerstörung und Krieg sehr präsent. Wie nimmst du solche Bilder wahr?

NI: Im Laufe der Zeit reagieren die Menschen im Allgemeinen immer weniger emotional auf Kriegsbilder, weil diese Bilder der Zerstörung im Überfluss vorhanden sind und allmählich zu einem normalen Bestandteil ihres Feeds werden. Jede:r ist schon seit Jahrzehnten an visuelle Blockbuster-Effekte gewöhnt, die ein Gefühl der Distanz zur harten Realität vermitteln. Ich möchte nicht, dass die Kriegsbilder das sind, was man am meisten mit der Ukraine assoziiert, denn das bringt viele Mutmaßungen hervor.

D20: Deine Arbeit „Livemusic" (2021) setzt sich nur aus bereits vorhandenem Bildmaterial zusammen. Wie wählst du deine Motive und Themen aus?

NI: Ich versuche, mit Themen zu arbeiten, die nicht so weit verbreitet sind, weil ich glaube, dass Künstler:innen über Dinge sprechen sollten, über die ansonsten niemand spricht. Dass sie die Aufmerksamkeit auf marginalisierte Personen und übersehene Themen lenken sollten, die von der breiten Öffentlichkeit nicht als wichtig angesehen werden, anstatt der aktuellen politischen Agenda zu folgen, um als relevant zu gelten.

D20: Wie kann deiner Meinung nach die Digital- und Medienkunst in diesen Strom von immer mehr Bildern und visuellen Informationen, die uns umgeben, intervenieren?

NI: Ich habe angefangen, mit Archiven zu arbeiten, anstatt neue Terabytes an Filmmaterial zu produzieren, nicht nur wegen des Bewusstseins der digitalen Datenverschmutzung, sondern auch, nachdem mir klar wurde, wie viel von unserer Vergangenheit nicht erfasst und bewahrt oder auch nur richtig bewertet wird. Außerdem ermöglicht das bereits vorhandene Material eine neue Lesart im Hinblick auf den gegenwärtigen Kontext. Es hilft, die Vergangenheit neu zu bewerten, um die Gegenwart kritischer wahrzunehmen.

D20: Was können wir aus diesen Bildern der Vergangenheit für die Zukunft „lernen"?

NI: Ich denke, dass das Problem darin besteht, dass die Bilder, mit denen wir uns umgeben, vor allem auf den Effekt der spektakulären Darstellung ausgerichtet sind, vor allem in der Filmindustrie. Daher spiegeln sie die Vergangenheit nicht wirklich direkt wider, sondern manipulieren sie, entsprechend dem vom Autor gewünschten Effekt, um die emotionale Wirkung zu verstärken, was zu einer Verzerrung der Wahrnehmung der Wirklichkeit führt.

D20: Die Gleichsetzung von elektronischer Musik und industrieller Produktion ist in den letzten Jahren virulent geworden. Welche Besonderheiten siehst du in dieser Musikszene in der Ukraine und in deiner persönlichen Vergangenheit?

NI: Ich interessiere mich inzwischen mehr für den Sound von Film und Video als für Musik. Der Tonteil der Videoarbeit „livemusic" ist aus den Fehlern entstanden, die bei der Digitalisierung meines miniDV-Archivs aufgetreten sind. Etwas, das normalerweise bereinigt oder weggeworfen werden sollte, etwas, das eher zufällig von einer Maschine als von einem Menschen geschaffen wurde. Eigentlich passieren in meiner künstlerischen Praxis die interessantesten Dinge, wenn ich mich so wenig wie möglich in den Entstehungsprozess einmische und die Dinge sich einfach so entfalten lasse, wie sie gerade kommen.
 

Die Video- und Medienkünstlerin Nataliya Ilchuk wurde 1985 in Lviv geboren. Nach einem Filmstudium in Kyiv und Warschau machte sie 2020 ihren Abschluss am Le Fresnoy - Studio National des Arts Contemporains in Frankreich. 

 

 

Das Projekt
 

In Solidarität mit ukrainischen Künstler:innen und für den Erhalt der ukrainischen Kunst- und Kulturszene und vergibt das DOCK 20 in Zusammenarbeit mit dem Office Ukraine für das Jahr 2023 zwei Arbeitsstipendien an Künstler:innen, die aufgrund des Krieges das Land verlassen mussten. Mithilfe der Stipendien soll es den beiden ermöglicht werden, auch weiterhin im Bereich bildender Kunst tätig zu sein. Aus den Vorschlägen des Office Ukraine wurden Nataliya Ilchuk und Maria Proshkowska ausgewählt. Arbeiten der beiden Künstlerinnen sind vom 1. Bis 28. Februar 2023 online und im Schaufenster des DOCK 20 nach Einbruch der Dunkelheit zu sehen


Die Plattform Office Ukraine. Shelter for Ukrainian Artists wurde im Februar 2022 angesichts der Notsituation vieler Kulturakteur:innen ins Leben gerufen. Die Plattform unterstützt ukrainische Künstler:innen und koordiniert zivilgesellschaftliche und institutionelle Initiativen. Die Büros in Wien, Graz und Innsbruck vernetzen Künstler:innen mit Institutionen in Österreich, die Arbeits-, Unterkunfts- und Projektmöglichkeiten für Geflüchtete aus der Ukraine zur Verfügung stellen wollen.


LINKS

Office Ukraine. Shelter for Ukrainian Artists
Website Nataliya Ilchuk

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