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Planen + Falten: „Schwelle“

4. Mai bis 27. Juli 2024
Eröffnung: Freitag, 3. Mai 2024, 19 Uhr

Wann ist etwas, wie es scheint? Wann wird ein visuelles Artefakt zum Bild, wann aus einem Geräusch eine Melodie? Wo ist die Schwelle, an der das Vertraute ins Unheimliche kippt oder das Fremde sich plötzlich zum Bekannten erhebt? Es scheint die künstlerische Praxis von Planen + Falten zu sein, diesen Fragen nachzuspüren. Dabei durchstreifen die vier Künstler:innen den Dschungel der künstlerischen Zeichen und treiben ihr eigenes Spiel mit den Betrachter:innen.

 

 

Pirmin und Severin Hagen, Christine Katscher und Ronja Svaneborg arbeiten seit 2019 als Kollektiv und konfrontieren sich regelmäßig mit den Heimtücken der Gewohnheit und dem vermeintlich Normalen. An der Schnittstelle von Druckgrafik, Installation und Skulptur und Sound tasten sie das Verhältnis zwischen Werk und Autor:in, Publikum und Gattungsgrenze ab. Nach Ausstellungen in der Schweiz (2020) und in Liechtenstein (2022) bespielen sie nun mit ihrer Ausstellung „Schwelle“ erstmals gemeinsam ein Museum in Österreich. Im Zentrum der neuen Kollaboration stehen Strategien des Sichtbarmachens durch Tarnung, Verstecken und Auflösung. Die Überlebensstrategie, bei der sich Tiere, Pflanzen oder Soldat:innen derart überzeugend an ihre Umwelt anpassen, dass sie mit ihr verschmelzen, bildet den Ausgangspunkt einer künstlerischen Reflexion: Wo verlaufen die Grenzen der Wahrnehmung? Und mit welcher Distanz muss man den Dingen begegnen, um ihren Sinn zu entschlüsseln?

Severin Hagen produziert einen raumhohen begehbaren Golem aus Gips – einen Hybrid aus Litfaßsäule, Telefonzelle, organischer Skulptur und fossiler Verknöcherung, dessen Tentakel wie Fühler den Raum erkunden. Das wenig elaborierte Material Gips führte lange Zeit ein Schattendasein in der Kunstgeschichte. Lediglich als gut genug befunden für Vorlagen von Plastiken, wurde es seit dem Barock zu einem der verbreitetsten Baumaterialien – stets getarnt als wertvoller Marmor für jene, die sich den teuren Stein nicht leisten konnten, den schönen Schein aber wahren wollten. Unverstellt ermöglicht Severin Hagen nun den Blick auf diesen unscheinbaren Protagonisten der Bildhauereigeschichte.

Im Schutz dieses Gipspanzers, dieser „Halssäule“, verbreitet sich der Klang der neuen Soundarbeit von Ronja Svaneborg in den Ausstellungsräumen. Als kleine Abkömmlinge der Gipsplastik verstreuen die Lautsprecher die Stimmen der Besucher:innen wie Pilze ihre Sporen. An der Schwelle zwischen akustischem Chaos und Chor sammeln und überlagern sich die Klänge, aufgenommen im schützenden Gehäuse von einem kleinen Computergehirn, dass sie in einen arhythmischen Loop einspeist. Im Chor mit den anderen tritt der Klang der Einzelnen in den Hintergrund, löst sich auf im Rauschen des Kollektiven – akustische Tarnung, die zu einem zunehmend lauteren Rauschen anschwillt. In Kompliz:innenschaft mit Simon Nagy komponiert Svaneborg zudem eine Partitur des Kollektiven.

Das Verstecken als strategischer Vorteil: Erst im Ersten Weltkrieg wurde aus der Warnfärbung der mitunter farbenfrohen und eindeutig zuordenbaren Uniformen der Soldaten die Tarnfärbung, mit der das Militär heute assoziiert wird. In Tarnfleck getüncht wurden jedoch nicht nur Menschen, sondern ganze Gebäude und Häuserblocks. Als Camoufleur/Camoufleuse bezeichnet man jene Maler:innen, die ihr Handwerk ganz auf die Vertuschung und Tarnung konzentrierten. In seiner Installation treibt Pirmin Hagen die Kunst der Tarnung auf die Spitze, indem er Tarnstoffe tarnt. Die im White Cube furchtbar unbrauchbaren Stoffbahnen werden für ihn zur Leinwand seiner eigenen Erkundung dieser Farbfleckentopografie. Durch Gipsplatten – dem industriell vorgefertigten Zwilling der ungestalteten Plastik im vorderen Raum – verstellt, müssen die Besucher:innen die allansichtige Installation auf eigenen Wegen erschließen.

Mit Übermalungen, Reproduktionen und Fragmentierungen arbeitet auch Christine Katscher. Ihre Siebdruckserien geben dem vielstimmigen Chor der Stimmen der Besucher:innen, die Ronja Svaneborg mit ihrer Soundinstallation choreografiert und dem Orchester, das sie gemeinsam mit den anderen Arbeiten bilden, ihren Rhythmus. Mit beharrlicher Ausdauer lässt Katscher ihre Motive auseinanderfallen, setzt sie neu zusammen, übermalt und reproduziert. Die vielfach aus Beobachtungen des Alltäglichen gesammelten Motive entleeren sich in diesem Prozess nicht selten zu reinen Formen. Grapheme – die kleinsten unterscheidbaren Einheiten in einem Schriftsystem – enthalten selbst keine Bedeutung und fügen sich nur im Raster mit anderen zu einer Semantik zusammen. Mit ihrer Kollektiv-Ausstellung kommentieren die vier Künstler:innen vielschichtig die Gewohnheiten der Rezeption und der Selbstverortung. Wer glaubt, ein Kunstwerk schaue nicht zurück oder ließe sich ohne eine Beziehung zu den Betrachter:innen denken, wird hier anderes erfahren.

 


Biografien:

 

Pirmin Hagen (*1982 in Dornbirn) lebt und arbeitet ebenda. 2007 bis 2012 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien und Marmara Universität Istanbul. Arbeits- und Ausstellungsaufenthalte in Schottland, den USA und der Türkei. Beteiligt am Comic Magazin „Franz, the lonely Astronaut“; 2014 Aufbau der offenen Druckwerkstatt „Druckwerk“ in Lustenau.

Severin Hagen (*1982, in Dornbirn) hat an der Universität für angewandte Kunst in Wien und der Akademia Sztuk Pięknych in Krakow, Polen künstlerisches Lehramt studiert. Seine künstlerische Praxis umfasst vorrangig Druckgrafiken, sowie Skulpturen, Zeichnungen und Lichtinstallationen. Er ist freischaffender Künstler und als AHS-Lehrer tätig. Er lebt mit seiner Familie in Lustenau.

Christine Katscher (*1986 Wien), studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien und an der École des Beaux-Arts in Nantes, Frankreich. Nach dem Abschluss 2012 erfolgte ein einjähriger Arbeitsaufenthalt in einer Druckwerkstatt in Edinburgh, Schottland. 2014 war sie beteiligt am Aufbau und der Leitung der Druckwerkstatt „Druckwerk“ in Lustenau, Vorarlberg. Seit 2019 ist sie Dozentin im Fachbereich Grafik für Bildnerische Erziehung an der Universität Mozarteum am Standort Innsbruck. Die Produktion und Entwicklung von Bildern stehen im Fokus ihrer künstlerischen Praxis, die sie mit Mitteln der Zeichnung und Druckgrafik umsetzt.

Ronja Svaneborg (*1985, Thy) ist Absolventin der Glasgow School of Art und der Zürcher Hochschule der Künste. Ihre Praxis umfasst Skulptur, Sound, Performance und Installation und befasst sich mit Stimmproduktion und der gegenseitigen Abstimmung und Resonanz in korrelierten Hörerfahrungen. Zu ihren jüngsten Projekten gehören: Time Will Tell, Hordaland Kunstsenter, Bergen; Exploded, Palazzina, Basel; South of the Lighthouse, Vermilion Sands, Copenhagen; I will be your space if you will be mine, Kunstraum Dornbirn.

 

 

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