September 2025: Helen Weber

“Runenhäuser”, Digitalvideo, 12:02 min, 2025

Helen Weber untersucht in ihrer künstlerischen Praxis architektonische und semiotische Strukturen, die auf den Fundamenten völkischer Ideologien errichtet wurden. Ihre Videoarbeit „Runenhäuser“ (2025) führt entlang der Deutschen Fachwerkstraße und durch die rekonstruierte Frankfurter Altstadt. Dabei legt sie offen, wie stark die Sehnsucht nach einer vermeintlich bruchlosen Vergangenheit in Architektur eingeschrieben ist – und wie Spolien, Symbole und Fassaden zu Trägern ideologischer Rückprojektionen werden. Mit verzerrtem Kamerablick, tastenden Händen und einer genauen Analyse des Materials öffnet Weber den Raum für eine Auseinandersetzung mit diesen hartnäckigen Traditionslinien.

DOCK 20: „Runenhäuser“ ist Teil eines größeren Zyklus, in dem du antimoderne und völkische Bilderwelten bis in heutige Kontexte verfolgst. Welche Rolle spielt diese Arbeit innerhalb des Zyklus? Woher kam dein Interesse an diesen Motiven?

Helen Weber: Oft habe ich das Gefühl, dass es andersherum ist. Wir werden heute von diesen diffusen Bildwelten regelrecht verfolgt: Alles wird immer „echter“, „ursprünglicher“, „ehrlicher“ und „reiner“. Ich denke immer wieder an die kommodifizierte Einfachheit der Kaufhauskette Manufactum, deren Slogan lautet: „Es gibt sie noch, die guten Dinge“.

Im Kontext von Migration, Asyl, reproduktiven Rechten, Sozialpolitik, Naturschutz, aber auch Außenpolitik ist völkische Ideologie in aktuellen Diskursen sehr präsent und nimmt konkrete, bedrohlichere Formen an als in einem Werbespruch. Meine Annäherung an diese Traditionslinien ist immer essayistisch - ich setze Beobachtungen miteinander in Bezug, woraus sich wieder neue Verbindungen ergeben. In dem Found-Footage-Video-Essay „Martin Heidegger Runway“ (2023) bin ich von Heideggers bäuerlicher Selbstinszenierung in seiner Hütte im Schwarzwald ausgegangen und habe diese mit zwei weiteren berühmten Heidis - Heidi aus den Alpen und Heidi Klum - kollidieren lassen. Die von Heidegger in „Warum wir in der Provinz bleiben“ (1934) konstruierte Bildwelt der Berge ist Container für Ursprünglichkeit, Familie, Gesundheit, Stärke, Reinheit, Herkunft und das „Verwurzelte“ und wird einem „degenerierten Städtischen“ gegenübergestellt - ähnlich wie bei Heidi aus den Romanen von Johanna Spyri von 1880/81.

„Runenhäuser“ ist 2025 für zwei Ausstellungen in „Fachwerkstädten“ in Süddeutschland entstanden. Es greift die Deutsche Fachwerkstraße, entlang derer ich aufgewachsen bin, als deutsches Heimat-Marketing auf.
Mich haben die Bedeutung des Material Holz als Verbindung, Konstruktion, Fassade aber auch der Begriff des Framing interessiert. Bei meinen Recherchen zu Holzfachwerk stieß ich über den Arbeitskreis Hausforschung auf eine Rezension von G. Ulrich Großman: „Symbole, Runen und die Fraunhofer-Gesellschaft. Zum überraschenden Wiederaufleben der Runenkunde des SS“ , die sich mit der Publikation des deutschen Fachwerkgurus Manfred Gerners von 2004 beschäftigt. In dieser „entziffert“ Gerner Fachwerkfassaden basierend auf der Propaganda der SS-Organisation „Ahnenerbe“ als Runen und präsentiert sie als ein angebliches Fachwerk-Alphabet. Der Titel „Runenhäuser“ sowie das Zitat am Anfang des Videos ist wiederum dem gleichnamigen Buch des völkischen Okkultisten Phillip Stauff entnommen. Er war ein glühender Verehrer der in Wien erfundenen „Ariosophie“, deren Fan auch Karl Lueger war, der ehemalige Wiener Bürgermeister.

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D20: Beim Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt schaust du besonders auf die Spolien, die historische Tiefe vorspiegeln sollen. Was interessiert dich an dieser Polarität aus Echtem und Inszeniertem – und wie verhandelst du den Wunsch nach einer bruchlosen Vergangenheit?

HW: Spolien können Raubgut sein, Trophäen, Teile von zerstörten Bauwerken, mit denen man sein Gebäude, und somit im repräsentativen Sinne auch sich selbst, schmückt. Sie wurden aber auch aus der Notwendigkeit heraus verwendet, zum Beispiel aufgrund von Materialknappheit während des Kriegs.

In der Neuen Frankfurter Altstadt sind sie, umgeben von kulissenhaften Rekonstruktionen, eindeutig als Schmuck und Zitat auf das Gewesene platziert worden. Sie sind attraktive historische Splitter, die auf die Inszeniertheit ihrer Umgebung hinweisen könnten. Bei historischen Fachwerkhäusern, deren Balken und Gefache je nach Alter restauriert und ausgetauscht wurden, ist die Frage nach Originalität und Authentizität genauso komplex. Sie sind genaugenommen Fachwerk-Frankensteins.
Generell führen Debatten rund um Rekonstruktionen vor allem bei Großprojekten und Symbolbauten zwangsläufig zur Frage nach Repräsentation. Rekonstruktionen wie die Dresdner Frauenkirche und das Berliner Stadtschloss sind politische Entscheidungen, die von geschichtsrevisionistischen Akteur:innen gefördert und beeinflusst werden können.

D20: In „Runenhäuser“ gehst du mit der Handkamera ganz nah an die Fassaden, fast so, als würdest du sie ertasten. Was bedeutet dir diese körperliche Annäherung – und wie verändert sie deinen Blick auf Architektur?

HW: Ich wollte einen klaren Verweis darauf geben, dass es eine subjektiv situierte Perspektive ist. Durch Annäherungen betrachte ich Details und bruchstückhafte Aspekte. Gleichzeitig ist meine Hand im Bild ein Verweis auf die okkulte esoterische Dimension des Völkischen, denn sie streichelt den Lehm der Jahrtausende und die brüchigen Balken, als würde sie sie nach ihren vermeintlichen Geheimnissen befragen oder sie lesen können. Historisches Fachwerk war aufwendige Handarbeit, die heute ebenso aufwendig händisch restauriert wird. Die Gebäude sind somit eher als fragile historische Objekte zu verstehen anstatt als Architektur im eigentlichen Sinne.

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D20: Du arbeitest auch mit einer Fisheye-Linse, die die Räume verbiegt, „bis sich die Balken biegen“. Warum war dir diese optische Übertreibung wichtig – und was macht sie sichtbar, was ein konventioneller Aufnahmewinkel verbergen würde?

HW: Eine berühmte Arbeit zu Fachwerkhäusern ist die Fotoserie Hilla und Bernd Bechers: „Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebiets“. Mittels eines leicht erhöhten Standpunkts, diffusem Licht und Zentrierung der Gebäude gelang es ihnen, die Häuser als Typologien seriell, grafisch und „sachlich“ vor ihrem Verschwinden abzubilden. Die Weitwinkellinse in „Runenhäuser“ macht vor allem sichtbar, dass es einen subjektiven Blick gibt und dadurch eine Perspektive, die den Gegenstand formt und ihn verzerrt. Sie gibt den Gebäuden eine merkwürdige Körperlichkeit - irgendetwas stimmt nicht mit diesen Bildern. Die Gefache und Balken der sowieso meist schiefen historischen Gebäude, krümmen sich durch die Kamerabewegung. Sie wölben und biegen sich unter der Last all dieser Narrative und Projektionen - oder, weil sie falsch restauriert wurden.

D20: In anderen Arbeiten wie XYK (2023) löst du Runen aus ihrem ideologischen Kontext und führst sie als Skulpturen auf reine Materialität zurück. In „Runenhäuser“ wird andererseits deutlich, dass „real verlorene Tradition nicht ästhetisch zu surrogieren [ist]“, um es mit den Worten der kritischen Theorie zu formulieren. Wie bringst du diesen kritischen Umgang mit Symbolen und die haptische, fast körperliche Ebene der Erfahrung in deiner Praxis zusammen?

HW: „XYK“ sind nicht als Runen, sondern ausgehend von sogenannten „Mannfiguren“ aus Fachwerkfassaden entstanden. Die tragenden Ständer und Streben dieser „Männer“ werden hier funktionslos - die karbonisierten Figuren brauchen Wände, an die sie gelehnt werden können, oder liegen lieber gleich. Natürlich möchte ich keine völkisch oder nationalsozialisitisch aufgeladenen Runen reproduzieren. Es ist wichtig zu betonen: weder die Mannfiguren noch andere Strebenkreuze in Fachwerkfassaden sind als geheime germanische Runen von eingeweihten mittelalterlichen Handwerkern gebaut worden. Das waren und sind eindeutig völkische Fantasien, für die es keine Nachweise gibt. Da „Runenhäuser“ dieser pseudowissenschaftlichen Ausprägung des völkischen Germanenkults nachgeht, die bis heute in Publikationen und Infotafeln kursiert, wollte ich das Abfahren der Route selbst als Suchbewegung inszenieren.

Interview: Anne Zühlke

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Bio: Nach dem Studium der Bildenden Kunst in Stuttgart und Istanbul studierte Helen Weber (*1994) TransArts an der Universität für angewandte Kunst. 2025 ist sie Mentee von Mirela Baciak (Salzburger Kunstverein) im Rahmen des Mentoring Programm Kunst der Akademie der Bildenden Künste, Wien. In ihren Arbeiten untersucht sie Natur, Handwerk, Landschaft und Sprache als Projektionsflächen kultureller Identität. Im Bewusstsein eines subjektiven, situierten Blickes entstehen Videoinstallationen, Texte, (essbare) Objekte, Performances und partizipative Aktionen. Holz, aber auch Käse wird als Träger von Geschichte(n) inszeniert. Sie war Stipendiatin der Studienstiftung, Atelierstipendiatin des Künstlerhaus Stuttgart, Preisträgerin des Werner-Pokorny-Preis 2022 und erhielt 2024 ein Startstipendium des BMWKMS. Ihre, oft kollaborativen Arbeiten wurden unter anderem im Württembergischen Kunstverein, dem Volkskundemuseum Wien, dem Collegium Artisticum Sarajevo und bei Publiek Park Brüssel gezeigt. Sie ist im Vorstand des Kunstverein anorak e.V. (Berlin) und Teil mehrerer Kollektive.

 

Credits:
Konzept, Idee, Produktion: Helen Weber
Sound Design: Ivan Syrov
Musik: Mister Kolk
Unterstützt von: Holzbau Härer
Gefördert vom Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport (BMWKMS), Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK)

 

 

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