2026.1: Michaela Kesser und Gerold Tagwerker
"Bautiful Cracks"
Laufzeit: 7.2.–25.4.2026
Eröffnung: 6.2.2026, 19 Uhr
Mit Michaela Kessler und Gerold Tagwerker präsentiert das DOCK 20 eine kollaborative Duo-Ausstellung, in der zwei eigenständige, konzeptuelle Positionen produktiv aus ihren Gegensätzen schöpfen. Michaela Kesslers zeichnerische Bildräume entgrenzen sich hin zur Ausstellungsarchitektur, während diese durch die Installationen von Gerold Tagwerker manipuliert wird. Beide Künstler:innen arbeiten mit Fragmentierung und Störung, der Offenlegung und der bewussten Irritation der Wahrnehmung und fragen danach, wie körperliche, räumliche und mediale Eindrücke in einem institutionalisierten und bildnerischen Setting konstruiert werden.
Michaela Kessler hat in den vergangenen Jahren eine eigenständige visuelle Sprache entwickelt, die Körperbilder, Gefühlszustände und sinnliche Ambivalenzen in die Form des Fragments überführt. Ihre großformatigen Zeichnungen basieren auf einem fortlaufenden Werkzyklus mit Kugelschreiber, einem Medium, das aufgrund seiner linearen Härte und seiner Nähe zu Protokoll, Spur und Aufzeichnung einen vermeintlichen Antagonisten zu den gefühlsbetonten Motiven der Zeichnungen bildet. Durch die dichte Schraffur, die sie in variierenden Rhythmen und Überlagerungen einsetzt, knüpft Kessler zugleich an eine lange kunsthistorische Tradition an, in der Schraffur als Mittel der Körpermodellierung, der atmosphärischen Verdichtung und der Annäherung an das Flüchtige eingesetzt wurde. Die klassische Funktion der Schraffur, Volumen und Tiefe zu erzeugen, wird zugunsten einer fragmentierenden Textur geöffnet, in der sich körperliche und emotionale Zustände materialisieren. Es entstehen epidermale Oberflächen, Brüche und organische Verschiebungen. Die Künstlerin operiert nicht in der Tradition einer naturalistischen Körperdarstellung, sondern in einem erweiterten Feld expressiver und feministischer Zeichnung, das sich kunsthistorisch von Nancy Spero über Birgit Jürgenssen bis zu Maria Lassnig denken lässt. Ihre Zeichnungen erzeugen eine innere Topografie der Empfindung: Die Fragmente verweisen nicht auf einen kohärenten Körper, sondern auf das Potenzial des Offenen und Unvollständigen.
Gerold Tagwerker ist eine etablierte Position der österreichischen Konzept-, Licht- und Medienkunst. Ab Mitte der 1990er Jahre entwickelt er eine Werkpraxis, die Minimal- und Post-Minimal-Strategien mit Architekturanalyse und Institutionskritik verbindet. Seine Arbeiten greifen häufig in bestehende Raumsysteme ein und offenbaren jene architektonischen und institutionellen Ordnungen, die Wahrnehmung strukturieren. Für „Beautiful Cracks“ erweitert Tagwerker seinen Schwerpunkt auf Licht- und Flickerarbeiten um eine medienkünstlerische Komponente: Er bindet die Überwachungskameras der Institution in seine Installation ein, spielt deren Bildmaterial live und in Loops auf Monitore im Raum und erzeugt ein System von Kopien, Verzögerungen und Wiederholungen. Diese Verfahren erinnern an medientheoretische Konzepte der Selbstbezüglichkeit, in denen das Bild nie als Original, sondern immer als prozessuale Spur erscheint.
Auch Fragmente von Kesslers Zeichnungen tauchen in diesen Bildschleifen und Spiegelungen wieder auf, die sich in die Zirkulation einschreiben. Es entsteht ein dialogisches Verhältnis zwischen beiden Positionen: Tagwerkers Eingriffe verorten Kesslers Arbeiten in einem erweiterten medialen Feld, während ihre Figurationen Tagwerkers Apparaturen eine körperlich-affektive Dimension verleihen. Der institutionelle Raum selbst wird zur fragmentierten, brüchigen Ausstellungslandschaft, in dem seine Infrastrukturen – Licht, Überwachung, Display – sichtbar, hörbar und spürbar werden. Der Ausstellungstitel verweist auf die ästhetische Produktivität des Unvollständigen und Bruchhaften. Die Ausstellung thematisiert damit grundlegende Fragen der Rezeptionsästhetik: Wie beeinflussen institutionalistische Ordnungen unsere Wahrnehmung? Welche Rolle spielt das das Fragment und der offene Bruch für die ästhetische Erfahrung? Und wie bildet sich die Beziehung zwischen Betrachter:in, Werk und Raum in einem Display, das gleichzeitig sinnlich, räumlich und technologisch aufgeladen ist?
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation mit neuen Texten von Anne Zühlke, Marlene Schenk und Clemens Krümmel, die die zeichnerischen, räumlichen und medienkulturellen Aspekte der beiden Positionen aus kunsthistorischer und theoretischer Perspektive analysieren.
Text: Anne Zühlke
Michaela Kessler, geboren 1994 in Hohenems, lebt und arbeitet derzeit in Linz und Dornbirn. Sie studierte von 2017 - 2023 Bildende Kunst sowie von 2018 – 2022 Fashion and Technology an der Kunstuniversität Linz. Ihre zeichnerischen Arbeiten wurden unter anderem mit der Talentförderungsprämie des Landes Oberösterreich 2025, dem START Stipendium für Bildende Kunst (BMWKMS) 2025, dem Ö1 Talentestipendium 2024, dem Kulturpreis des Landes Vorarlberg 2024 sowie dem Klemens Brosch Preis 2023 ausgezeichnet. Ihre Werke werden im In- und Ausland gezeigt, etwa in der Galerie 422 in Gmunden (2025), in der Städtischen Galerie Überlingen (2025), im museumkrems (2024), im Künstlerhaus Wien (2024) in der Galerie Schloss Parz (2023) oder auf der Parallel Vienna (2023).
Gerold Tagwerker, geboren 1965 in Feldkirch, ist ein österreichischer bildender Künstler und Gestalter. Er studierte von 1983 bis 1988 Malerei und Grafik am Mozarteum Salzburg und lebt sowie arbeitet heute in Wien und Feldkirch. Tagwerkers Arbeiten wurden in zahlreichen renommierten Institutionen präsentiert. Zu seinen Einzelausstellungen zählen u. a. das Kunstmuseum Appenzell (2015), das Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt (2018) und die Galerie Stadtpark Krems (2016). Zudem war er an bedeutenden Gruppenausstellungen beteiligt, darunter im Kunstmuseum Wolfsburg (2023), im Museum Ritter Waldenbuch (2022), im MUMOK Wien sowie im Museum der Moderne Salzburg.