Februar: Malin Kuht
"En-Countering Cyberfeminism"
HD Video, 33 min, 2021
In ihrer 2-Kanal-Videoarbeit präsentiert Malin Kuht die Geschichte der First Cyberfeminist International, die 1997 am Rande der documenta x in Kassel als Teil des Hybrid Workspace stattfand. Im Gepräch mit dem DOCK 20 erklärt sie, wieso die netzwerkartigen Formen der Organisierung sie fasziniert haben in einem von politischen Grabenkämpfen geprägten Jahrzehnt. Der Cyber-Feminismus und der ihm anverwandte Spider-Feminismus, dass wird deutlich, lässt sich nicht einfach zuordnen zu einer einzelnen feministischen Strömung. Gerade deshalb ist er bis heute besonders interessant für die Auseinandersetzung mit Feminismus, Technologie und Solidarität.
D20: Was war deine erste Begegnung mit dem Spider-Feminismus?
Malin: Ich habe mir Material von der Ersten Cyberfeministischen Internationalen angeschaut und habe versucht, Ideen von damals zu finden, die ich heute noch interessant finde und bin sehr an Spider-feminism hängen geblieben. Helene von Oldenburg hat Spider-feminism als Antwort auf die Frage: Was ist Cyberfeminismus? auf der Konferenz präsentiert und ich fand ihren Ansatz witzig und klug. Ich habe dann festgestellt, dass es für mich ein total passendes Motiv ist. Auch Donna Haraway baut ihr Bezugssystem sehr auf dieser diesem arachnoiden Konzept auf.
D20: Ausgehend vom Netz als Metapher für eine politische Form der Organisierung - an welchem Punkt bist du eingestiegen?
Malin: Zuerst hab ich das Old Boys Network kennengelernt als jene Gruppierung, die die erste cyberfeministische Internationale organisiert hat. Aber die haben sich natürlich nicht aus dem Nichts gegründet, sondern es gab schon viel Vernetzungsarbeit vorher und das war für mich eine interessante Erkenntnis. Zu sehen, dass das Netzwerk nicht erst in dem Moment entsteht, in dem man es Netzwerk nennt, sondern das viel Netzwerkarbeit davor und danach passiert.
D20: Kannst du erzählen, wer und was das Old Boys Network war?
Malin: Cyberfeminismus war und ist ein sehr offener Begriff. Das Old Boys Network ist entstanden dadurch, dass sehr frühe Cyberfeministinnen, die international verteilt und zeitgleich am selben Thema interessiert waren. Sehr wichtig ist VNS Matrix, eine australische Künstler:innengruppierung, die das „Cyber-Feminist-Manifesto for the 21th century“ geschrieben haben. Über eine Residency waren zwei von ihnen unter anderem auch in Berlin und haben dadurch Kontakt zu europäischen Cyberfeministinnen aufgenommen.
Viel lief auch über den Chaos-Computer-Club und grade an Kunsthochschulen herrschte zu jener Zeit großes Interesse an der aufkommenden Netzkultur. Außerdem gab es den Email-Verteiler „FACES“, den gibt es auch heute noch. Der war eine sehr frühe Form der Mailing-Lists. Das Old Boys Network ist dann in diesem Dunstkreis entstanden. Es gab fünf Gründungsmitglieder. Eine davon auch von VNS-Matrix. Eine Idee war auf jeden Fall, den stattfindenden Prozessen einen Namen zu geben und eine Plattform.
Ich glaube grundsätzlich ist am Cyberfeminismus interessant, dass er sich, wie in der Kybernetik imaginiert, an sehr vielen Orten spontan selbstorganisiert hat. Unabhängig voneinander aber zu gleichen Momenten in der Zeitgeschichte, nämlich zu Beginn der 1990er Jahre, und zwar in Kanada, in Australien und in den USA. Das sind natürlich alles westliche Länder, aber trotzdem gab es sehr unterschiedliche Konzeptionen davon.
D20: Wie würdest du den Cyber-Feminismus im Verhältnis zu anderen feministischen Strömungen jener Zeit einordnen?
Malin: Es fühlt sich eigentlich falsch an, den Cyberfeminismus einsortieren zu sollen. Es ist auch Teil des Witzes der Akteur:innen, es zu verunmöglichen. Was ich sagen kann ist, dass es um einen emanzipatorischen Zugang zu Technologie geht und darum, eine bestimmte Handlungsmacht zu kriegen. Sich selbst Sachen beizubringen, sich als Hacker:in zu verstehen, auch wenn man nicht tatsächlich Informatik studiert hat oder coden kann. Und um einen spielerischen, humvorvollen Umgang im Nachdenken über Gender und Technologie.
D20: Die Frage zielte darauf ab, dass im Cyberspace die Binarität die Grundlage jeder Kommunikation und jeden Ausdrucks ist. Inwiefern kann Cyber-Feminismus im Hinblick auf Differenzfeminismus oder Butler-Feminismus verstanden werden? Gab es Überschneidungen, Abgrenzungen oder eine aktive Nicht-Positionierung?
Malin: Das ist sehr sehr sehr interessant und auch eine Frage, die ich mir sehr stark gestellt habe. Eine der Gründungsmitglieder ist die US-Amerikanerin Faith Wilding, die ist auch tatsächlich aus einer älteren Generation als die anderen Akteur:innen kam. Sie war aus New York und aktiv in der Szene der Guerrilla Girls und anderen radikal-feministischen Gruppen. Dort waren Performances extrem wichtig war und Judith Butler - es ging viel um Doing Gender und vor allem auch das Un-Doing. In meinen Gesprächen, die ich mit Old Boys Network-Mitgliedern hatte ist mir schon aufgefallen, dass sie heute wissen, dass sie nicht unbedingt queere Perspektiven hatten. Es ging um Frauen, wobei Frauen nicht als biologische Definition gefasst war. Trans-Frauen wurden darin mitgedacht. Heute gibt es die Bezeichnung Frauen*, um zu markieren, dass nicht die biologische Kategorie gemeint sei, aber viele Trans-Frauen sagen: „Lasst doch das Sternchen weg, wir sind doch einfach genauso Frauen.“ Das war das, was die Cyber-Feminist:innen eigentlich schon damals praktisch umgesetzt haben.
Aus heutiger Sicht wirkt es schnell etwas verunsichernd, weil sie natürlich nicht über FLINTAs gesprochen haben.
D20: In dem Video wird gesagt: „The code is the collective“. Inwiefern spiegelt das die Programmierung und politische Praxis dieses Netzwerks?
Malin: Total. „The Code is the collective. The mode is the message“ ist der Slogan vom Old Boys Network, den ich auch immer noch total catchy finde. Und es geht dabei im Prinzip um das „Kulturhacking“ als eine Interventionsmöglichkeit in den Code des Patriarchats. Die Wirkung gesellschaftlicher Machtstrukturen hat das Old Boys Network als einen bestimmten Code zu lesen gelernt. Und man kann nur durch kollektive Organisierung dagegen intervenieren.
D20: Würdest du sagen, deine Videoarbeit ist ein weiterer Beitrag im Kontext dieses Netzwerkes? Im Hinblick darauf, dass Geschichtsschreibung nur durch die Herstellung neuer Verbindungen verschiedener historischer Punkte entsteht?
Malin: Eine sehr gute Frage. Ich glaube, widerständige Geschichte, vor allem feministische und kollektive Geschichte, ist sehr schwer archivierbar und hat eine starke Tendenz dazu, verloren zu gehen, vor allem die Zeugnisse aus der prädigitalen Zeit aus den 1990ern. Das habe auch nicht ich gesagt, sondern vor allem das Kollektiv Capri.Care. Das ist eine von Annette Maechtel und Anna Schäffler gegründete gemeinnützige Initiative, die den Fokus der Archivierung von materiellen Kunstwerken auf künstlerische Praktiken und Handlungsprozesse lenkt. Darüber hinaus versteht sich das Projekt, das seit 2020 von Anna Schäffler mit Friederike Schäfer weitergeführt wird, als Plattform und Reflexionsraum für die beteiligten Akteur*innen der
Produktion, Präsentation und Erhaltung von Kunst- und Kulturgut.
D20: Generational Loss - Datenverlust durch Alterungserscheinungen der Medien, die nicht mehr ausgelesen werden können. Inwiefern siehst du die Weiterbearbeitung des Themas abseits der digitalen Sphäre als Erweiterung zur analogen Geschichtsschreibung?
Malin: Das ist für mich schwer zu trennen, denn wir leben in einem Kontinuum, in dem man nicht wirklich trennen kann zwischen analog und digital. Es gibt aber ein besonderes Potenzial in digitalen Medien. Unter anderem geprägt von Donna Haraway und ihrer Cyborg-Figuration wurde die Perspektive, dass es ein Außerhalb der linearen Heilsgeschichte gibt und die Abkehr von irgendwelchen Master-Narratives möglich ist. Das ist natürlich in gewisser Weise eine sehr avantgardistische Geste. Aber ich glaube, es ist schon sehr gut, hegemoniale Geschichtsschreibung zu konfrontieren und Perspektiven einzunehmen, die eben nicht so geschichtsvergessen sind wie die neoliberale in der wir leben uns das erzählen will.
D20: Kannst du kurz erklären, was mit der Trias Hardware-Software-Mindware gemeint ist, die du auch in der Arbeit thematisierst?
Malin: Das ist ebenfalls eine Idee der Cyber-Feminist:innen gewesen und sehr geprägt von einem Denken über Bio-Politik und Körper-Hacking, dass Biotechnologien und das „pharmapornographische Regime“, wie es später Paul B. Preciado bezeichnet hat. Darin werden Körper ebenfalls als Nodes (dt. Knotenpunkte) in Netzwerken und Infrastrukturen begriffen, wie beispielsweise die Lieferant:innen innerhalb einer Lieferkette. Innerhalb solcher Infrastrukturen sind neben Maschinen und Algorithmen auch immer zwangsläufig Menschen technisch organisiert. Es war sehr vordenkend zu sagen, es gibt Hardware, es gibt Software und es gibt sogenannte Mindware bzw. Wetware - Körper beziehungsweise alles, was organisch und lebendig ist. Und das diese drei Entities miteinander vernetzt sind und untrennbare Verbindungen eingehen. Das hat sich inzwischen natürlich zugespitzt und erscheint heute viel logischer als es Anfang der 1990er war.
D20: In deiner Arbeit machst du deutlich, dass die erste cyberfeministische Internationale „nur“ am Rande der documenta X im Hybrid Workspace stattfinden durfte. Warum glaubst du, war es nur so peripher?
Malin: Der Hybrid Workspace ist super, super interessant. Da hat sich enorm viel abgespielt politisch. Dort wurde zum Beispiel auch die Organisation „Kein Mensch ist illegal!“ gegründet. Damals, in den 1990ern war eine interessante Phase großer Kunstausstellungen, weil es um die Idee ging, dass Labs und Event-Spaces mit dazugehören. Es war die Zeit der Entstehung der Eventkultur in der Kunstwelt. Für mich ist es besonders spannend, dass Netzkunst, Videokunst und Internetkunst zur documenta x eingeladen worden sind im gleichen Atemzug, wie auch offenere Kommunikationsformen dort ausprobiert wurden, Kollektive eingeladen worden sind und Symposien stattfanden und Labs.
Für mich ist es außerdem interessant im Hinblick darauf, wie Geschichte geschrieben wird. Schaut man sich die offizielle Geschichte der documenta an, dann ist die first Cyberfeminist International nichts, worauf man schnell stoßen würde. Sie wurden nicht als eigenständige Künstler:innen eingeladen sondern es gab eine Gruppe an Männern, die den Hybrid Workspace geleitet und ihrerseits wieder Künstler:innen eingeladen haben. Die Idee des Hybrid Workspace ist quasi ein Nebenprogramm und alles währenddessen stattgefunden hat ist eher eine Fußnote der documenta.
So funktioniert die documenta heute noch. Die kommende documenta will das wohl etwas aufbrechen… Bisher ist es jedenfalls sehr wichtig, wer auf den Künstler:innen-Listen steht und wer nicht, weil es ein Gesamtwerk ist, das ein:e Kurator:in schaffen will. Es gibt die Überbetonung des Kuratierens (oder der Kuration?).
D20: Was ist die Alternative? Es kommt auch in deinem Video die Frage auf, wie man sich mit anderen Menschen organisieren will. Lebt der Cyber-Feminismus bis heute weiter? Wie hat er sich seit dem Zeitpunkt deine Betrachtung weiterentwickelt?
Malin: Wenn man sich die cyberfeministische Geschichtsschreibung anschaut und sich den Cyber-Feminist-Index von Mindy Seu anschaut, der eine Zeitspanne von Anfang der 1990er bis in die Gegenwart abdeckt dann sieht man, dass es eine Vielzahl an Einträgen gibt über Menschen, die 1997 dort waren, sich zum ersten Mal getroffen haben und recht viele Veranstaltungen und Ausstellungen, , die sich in den drauffolgenden Jahren darauf bezogen haben z.B. das ICA, London hat 2017 die Post-Cyber Feminist International veranstaltet.
Aus meiner Recherche kann ich sagen, dass es für viele Menschen sehr lebensverändernd war. Ich finde es total spannend zu sehen, wie eine lustvolle Art der Organisation, die zumeist außerhalb von Job, Geld und oft auch Anerkennung stattgefunden hat, so viele Lebenswege beeinflusst hat. Leute haben sich kennengelernt, es wurden Jobs vermittelt, manche sind deshalb in bestimmte Städte gezogen und viele von denen arbeiten immer noch in dem Bereich.
Das Old Boys Network hat sich im Streit getrennt. Was auch nochmal ein ganz eigenes Thema wäre. Das sind alles Kämpfe, die sind den Streitthemen heutiger Gruppen ähnlich. Wer hat welches Wissen? Welche Hierarchien entstehen auch in Gruppen, die versuchen, diese zu vermeiden? Welchen Stellenwert haben intersektionalere und antirassisitische Ansätze in feministischen Kämpfen? Das sind ja Fragen, die kenne ich aus meiner eigenen politischen Praxis.
Ich hab in meiner Recherche gelernt, dass die netzwerkförmigen Organisierungsformen einen Unterschied machen und langfristige Effekte erzeugen, die nicht nur aufeinander einwirken sondern nachhaltig den Diskurs beeinflussen.
Organisierung ist für mich aus einem politischen und aktivistischen Selbstverständnis heraus unerlässlich. Und daher finde ich, ist sehr ermutigend zu erleben, dass es einen Unterschied gemacht hat und bis heute macht. Es geht es viel um Handlungswissen, das auch über einen Generationenaustausch hinaus existiert. Für Einzelpersonen und für Institutionen. Für mich.