September: Justin Urbach

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“We give it our heart, soul and bodies”

HD Video, 08:03 min, 2020 

In seiner Videoinstallation „We give it our heart, soul and bodies“ arrangiert der Medienkünstler Justin Urbach Orte und Stadien des Rausches und der kollektiven Ekstase. Er collagiert Videomaterial jugendlicher Clubgänger:innen der Nullerjahre - deren Hingabe an den harten, maschinellen Beat und Rhythmus des Techno sie an die körperlichen Grenzen bringt - mit Bildern der Jahrhunderte alten Tradition des Calcio Storico. Das legendäre und brutale Match der vier ältesten florentinischen Stadtbezirke, dass jährlich stattfindet, zieht durch seine Intensität und Gewalt sowohl Teilnehmer als auch Zuschauer:innen in seinen Bann. Die Schönheit der entgrenzten, kollektiven Erfahrung einerseits und die Härte und Hässlichkeit, die diese unweigerlich begleiten, stellt Justin Urbach in seinem Porträt des Rausches eindrucksvoll gegenüber.

 

DOCK20: Die hauptsächlich männlichen Protagonisten deiner Videoausschnitte geben ein äußerst martialisches Bild ab. Ist für dich diese Art Rausch, die du abbildest, mit einem bestimmten Konzept von Maskulinität verknüpft?

Justin Urbach: Ich stelle mir immer wieder die Frage nach vermeintlicher Maskulinität und den verbundenen Stereotypen von Kraft, Stärke und toxischer Männlichkeit, bis hin zur Frage nach Emotionalität und Sensibilität. In dieser Videoarbeit habe ich bewusst versucht, die verschiedenen Pole auf die Spitze zu treiben und sie zu vermischen. Einerseits eine dominante, harte Körpersprache die durch die sehr maschinelle Musik geprägt wird und dennoch viele verschiedene Menschen friedlich in einem Raum auch völlig geschlechterunabhängig verbindet und zum anderen die Storico-Spieler, die über die Spiellänge alles an Kraft und Brutalität in das Spiel geben und trotzdem fair bleiben. Besonders die Momente, in denen sich die Spieler ineinander verkeilen und innehalten, waren für mich Momente von Romantik, Intimität und Spannung zugleich. Diese Kippmomente von Brutalität bis hin zu einer Sensibilität, die in allen drei Kanälen immer wieder zu sehen ist, sehe ich als Rausch oder Tunnel an.

 

"It’s a moment outside the space of time, for us it’s a sacrifice, because everyone has their life, their
family but we always manage to find some time for this passion. And we give it our heart, soul and
our bodies."

 



D20: Wie bist du auf das Calcio Storico gestoßen? Was interessiert dich an dieser Form von Massenveranstaltungen? Siehst du darin Parallelen oder Unterschiede zu den großen Techno-Events, die überall in Europa so präsent waren in den 1990er und Nullerjahren?

JU: Generell interessiere ich mich sehr für die Verbindung von Sport, Kunst und Musik und ziehe hier gerne Parallelen. Die Faszination und die damit verbundene Gemeinsamkeit vieler Menschen kann riesige Mengen an Energie und Kraft freisetzen, die ich oft zu analysieren versuche. Je absurder der Sport ist, desto einfacher und interessanter lässt er sich abstrahieren und in neue Kontexte einbetten. So bin ich immer wieder auf der Suche nach bizarren Sportarten aber auch anderen, großen Veranstaltungen, bei denen Menschen für eine Sache zusammenkommen und durch Rausch und Gruppendynamik neue Ereignisse schaffen. Wenn sie friedvoll und mit einer Toleranz für jegliche Lebenseinstellung bleiben, können sie zu Safe Spaces werden. Hier hat die Techno-Szene ja maßgeblich dazu beigetragen diese Vielfalt zu entwickeln. Im Sport können solche Momente im Publikum ebenfalls passieren und verschiedenste Leute zusammenbringen. Das klappt nicht immer und gewisse Sportarten sind noch immer sehr maskulin geprägt, gerade wenn sie physischer sind. Dennoch erkennt man in diesen Rauschmomenten gewisse Analogien.

 

"It triggers endorphin, all important senses are amplified and those less important are surpressed.
This feeling of pleasure is when you control your body. You feel like you’re flying."

 


D20: Die Klammer der Arbeit wird durch den Sound gebildet. Was ist dein Bezug zu dieser Art Musik und wieso hast du sie als Taktgeberin des Videos ausgewählt? Woher kommt der Sound dieser Arbeit?

JU: Eigentlich komme ich aus dem Hardcore und spiele selber Schlagzeug. Die Energie, die man durch das Zusammenspiel auslösen kann, fasziniert mich immer wieder. Techno funktioniert da auf eine andere Weise, löst in mir aber das gleiche Gefühl von Vibration aus. Im Video habe ich versucht die Storico-Spieler auf die Techno Musik zu schneiden und die beiden Kanäle durch die Musik immer wieder interagieren zu lassen und zu vermischen. In der Mitte des Videos hört man aber auch Original Sound aus den Storico-Spielen der Kommentatoren oder Sänger, der perfekt in die Techno Musik integriert werden kann und eine neue Soundcollage entstehen lässt.

D20: Visuell werden die beiden ekstatischen Szenerien die meiste Zeit durch das dritte Videofenster voneinander abgetrennt. In diesem ist ein monotoner Arbeitsvorgang zu sehen, das stoische Abtrennen verschiedener Materialien voneinander. Worin besteht für dich die Verbindung zwischen dem Industriellen bzw. Maschinellen, dem Techno und dieser brutalen, historischen Variante des Fußballs?

Ich wollte eine Art Symbiose in der Anti-Symbiose erschaffen. Wie schon oben erwähnt, hat Techno für mich immer etwas Brutales, Körperliches, Stringentes, fast schon „Sich-Verbrauchendes“. Genauso verhält es sich mit Calcio Storico. In Interviews der Storico-Spieler erkennt man allerdings auch mit welcher Emotionalität und Pathos sie dem Sport und der damit verbundenen Brutalität begegnen. Das Spiel und auch der Techno wird zu einer Art Religion, der man folgt und die durch die Gesellschaft und Familie fest verankert ist. Die Maschine ist ebenfalls brachial und eher ungelenk, versucht aber trotzdem so fein wie möglich eine weiche Schicht von einer Schiene abzutragen. Diese Gegenpole zwischen Sensibilität und Brutalität verkörpert das dritte Video und schwingt in den beiden anderen Kanälen mit.

 

Credits: This video contains found footage and footage filmed by Justin Urbach.
 Edited and post processed by Justin Urbach

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