März: Pia Wilma Wurzer

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"Das Radl der Zeit"

Digitalvideo, 12 min, 2021


Performerin und Filmemacherin Pia Wilma Wurzer wuchs in der Feistritz im Metnitztal in Kärnten auf. Mit neunzehn verließ sie die Region und ging nach Wien. Mit „Das Radl der Zeit“, ihrem Filmdebüt, zeichnet sie das Psychogramm einer ländlichen Region aus der Perspektive einer Fortgegangenen. Für ihre Arbeit untersuchte sie mit dem apparativen Blick ihrer Kamera die Orte ihrer Vergangenheit. Geschichten und Erzählungen über den Tod und das Unheimliche erlauben den Betrachter:innen Einblick in ein schweigsames, hintergründiges und doch omnipräsentes Miteinander vor der Kulisse undurchdringlicher Wälder.

DOCK20: Deine Arbeit ist bereits bei Festivals gezeigt worden und hat eine starke Resonanz erfahren. Warum glaubst du, dass die Auseinandersetzung mit deiner Heimat für das Publikum so spannend ist?

Pia Wilma Wurzer: Ich glaube, dass liegt daran, dass Viele mit ihrer Heimat in Konflikt stehen. Darüber nachzudenken, woher man kommt ist nicht immer schön; das Wort Heimat vermittelt nur selten etwas heimeliges, meistens ist es eher unheimlich. Ich habe an vielen Stellen das Feedback bekommen, dass die Zuschauer:innen durch den Film an das Zuhause ihrer Kindheit erinnert wurden und an ihren Bezug zu ihren Heimatorten. Für mich klingt das Wort „Heimat“ sehr fürchterlich, ich will es eigentlich gar nicht gerne in den Mund nehmen. So geht es wohl auch vielen anderen und deswegen ist das Verfluchte, das Verwunschene und das Grauenhafte, das in dem Film vorkommt, für viele Leute sehr anschlussfähig.

D20: Wie würdest du deine eigene Kindheit in der Gegend beschreiben?

PWW: Eigentlich schön. Ich bin mit vielen Geschichten aufgewachsen, die mir mein Vater erzählt hat. Sie waren einerseits sehr fantasievoll, andererseits sehr unheimlich, denn Vieles an ihnen war wahr. Ich hatte jeden Platz, alles zu tun, was ich wollte. Es war unbeschwert und abenteuerlich und das Allerschönste im Rückblick war, dass ich meine gesamte Kindheit in der Natur, beziehungsweise im Wald verbracht hab. Meine kritische Auseinandersetzung mit meiner Heimat ist eigentlich erst entstanden, als ich schon fortgegangen war. Der Konflikt bestand aber schon vorher und war vermutlich der Grund, dass ich gegangen bin. Ich hatte immer ein Unbehagen gegenüber dem omnipräsenten Schweigen der Menschen der Feistritz und des Metnitztals. Je länger und weiter ich weg bin, desto mehr erschließt sich mir diese Unheimlichkeit, die ich lange nicht benennen konnte.

D20: Das wichtigste Motiv im Film ist der Wald. Wie kam es dazu und wieso ist dein Video so menschenleer, obwohl es um das soziale Miteinander in der Region geht?

PWW: Ich habe mich gar nicht getraut, für meinen ersten Film dokumentarisch zu arbeiten und eine echte Person zu zeigen, das war ein Grund. Andererseits finde ich, dass die Natur und der Wald dort sehr präsent sind. Es ist, als ob sich der Wald sofort jedes Stück Land zurückholt, das einst Platz bot für Höfe oder Wiesen. Das liegt auch an der Waldwirtschaft, die in der Region stark betrieben wird. Diese starke Präsenz der Natur wollte ich nicht auslassen. Ich wollte eine Immersion ermöglichen, die durch das Erzählen der Geschichten verstärkt wird und sich nach und nach wie ein absurder Albtraum anfühlt.

D20: Die Darstellung des Naturschönen als Gegenpol zur Erfahrung der Menschen, die dort leben, war das die Intention?

PWW: Das Zusammenleben mit der Natur ist weniger ein Zusammenleben als ein Gegeneinanderleben. Die Menschen dort arbeiten extrem gegen die Natur an und auch gegen sich selbst. Hinter all der Schönheit und der Ruhe und dem saftigen Grün des Ortes verbergen sich die krassesten Geschichten und Miseren des sozialen Miteinanders. Man trifft sich jeden Sonntag zur Kirche und spricht über das Wetter. Aber ein kollektives Füreinander-Dasein, so etwas wie eine Community gibt es nicht. Oft wird betont, früher sei es viel besser gewesen und es hätte Zusammenhalt gegeben. Falls es das je gegeben hat, ist davon nichts mehr übrig. Eine verschwiegene Schwere liegt auf dem Ort. Es ist eine raue Gegend, wahrscheinlich schon immer gewesen. Menschen haben dort über Generationen unter vielen Dingen gelitten aber nie darüber gesprochen. Bis heute sind es vor allem auch patriarchale Strukturen, die die Höfe bestimmen. Das Mantra, dass der Hof immer von einer Generation zur nächsten weitergegeben und nur dafür erhalten werden muss, egal wie sehr man sich knechtet, ist immer noch präsent.

D20: Wie haben die Leute aus der Region auf den Film reagiert?

PWW: Kaum…beredtes Schweigen. Allerdings gab es dort noch kein öffentliches Screening, was ich aber gerne machen würde, um mir ein besseres Bild über die Rückmeldungen der Menschen machen zu können. Was es an Rückmeldungen bisher gab, war oft sehr sinnbildlich dafür, wie Leute in der Gegend meiner Meinung nach kommunizieren: „Ja, hab ich gesehen“. Ich denke, dass mein Film nicht das übliche Bild und die verbreitete Selbstwahrnehmung der Menschen vor Ort bedient. Vielleicht können viele auch nichts damit anfangen. Denn er zeigt nichts positives, an das die Leute anknüpfen könnten.

D20: Stammen alle Erzählungen und die Musik aus dem Metnitztal?

PWW: Ja. Die Geschichte über die Frau, die ins Wasser geht, wurde mir oft erzählt, als ich noch ein Kind war. Die über den Jäger wurde mir erzählt von einem Mann in Bezug darauf, wie er zu seinem Hof gekommen ist. Es war in diesem Fall keine Erblinie, sondern ein Jagdunfall, durch den seine Mutter den Hof geerbt hat. Und die erste Geschichte über den Mann mit dem Herzinfarkt, die ist vor vier oder fünf Jahren passiert. Das war einer, der ganz alleine abseits in den Bergen gewohnt hat. Er hatte mit meinem Vater eine recht gute Verbindung und so wurde mir seine Geschichte direkt weitererzählt.

D20: Und woher kommt der Titel „Das Radl der Zeit“?

PWW: „Das Radl der Zeit“ ist der Titel eines Kärnterliedes von Gretl Komposch, das im Hintergrund zu hören ist. Für diesen Film habe ich eine Aufnahme von einem Kärntner Chor verwendet. „Das Radl der Zeit“ erzählt davon, wie das Leben an einem vorbei zieht, während man sich zurück in die Kindheit wünscht. Auch in meinem Film geht es um die Zeit, die nur langsam vergeht. Durch das Verzerren des Liedes wird das Unheimliche verstärkt. Es steht als Sinnbild für mein verzerrtes Verhältnis zum „Kulturgut“ Kärnterlied und zur Feistritz im Metnitztal. Der Aufenthalt dort fühlt sich so träge an wie mein Film. Man hört oft nur Motorsägen aus dem Wald und alles schleppt sich so dahin.

D20: Du hast eine Fortsetzung angekündigt mit zwei weiteren Filmen. Womit wirst du dich in den folgenden Teilen beschäftigen?

PWW: Eine Möglichkeit ist, dass ich mich mit Ängsten der Menschen beschäftige. Die Angst drückt sich dort in vielen verschiedenen alten und jüngeren Sagen und Erzählungen aus und durch verschiedenste mythologische Figuren, die im Wald leben. Eine andere Option wäre eine Auseinandersetzung mit dem Kartenspiel. „Das Radl der Zeit“ endet damit, dass Karten gespielt wird, weil es nichts mehr zu erzählen gibt. Das Kartenspielen ist fest verankert in der sozialen Praxis. Es wird nicht über Gefühle gesprochen; es wird generell wenig gesprochen, aber mitunter nächtelang Karten gespielt und darin viel Soziales verhandelt. Auf jeden Fall möchte ich weiterhin fragmentarisch arbeiten und zugleich ein zunehmend vollständigeres Bild meiner Sicht auf die Gegend und ihre Menschen erschaffen. Dieser erste Teil ist eine Einführung. Es wird sich eines aus dem anderen ergeben, dass lässt sich nicht ganz genau vorhersagen.

credits:
Konzept und Realisation: Pia Wilma Wurzer
Tonmischung und Mastering: Klaus Rabeder
Technische Beratung: Richard Hilbert

 

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