November: Tiphanie Kim Mall

Untitled, 2014, HD Video ohne Ton, 17 Min, Loop

 

Mithilfe einer kleinen Drohne filmt Tiphanie Kim Mall in Einkaufszentren in China. Das kleine Gerät streift durch die Gänge, fliegt durch das Labyrinth der Rolltreppen und filmt die reflektierenden Oberflächen und erzeugt durch bestimmte Blickwinkel kaleidoskopische Effekte. Eine befremdliche und psychedelische Wanderung durch ein doch so vertrautes Terrain.

 

DOCK 20: Der Effekt deiner Arbeit changiert permanent zwischen großer Vertrautheit und extremen Befremden. Es hat etwas sehr traumhaftes, diesem apparativen Blick der Drohne zu folgen. Man fühlt sich ausgeliefert und angezogen. Was denkst du, woher kommt diese Ambivalenz der Wahrnehmung?

Tiphanie Kim Mall: Ich wollte einen Blick auf das Einkaufszentrum entwerfen, der meiner persönlichen Haltung in Bezug auf diesen Ort entspricht. Es ist ein sedierter, fremdgesteuerter, gleichgültiger Blick. Was mich interessiert, ist die Ambiguität dieser Zustände, die vermittelt, dass man sich an einem Ort fremd und vertraut zugleich fühlen kann.

D20: Die kleine Drohne spukt regelrecht durch die endlosen Gänge des Einkaufzentrums. Immer wieder erschließen sich unbekannte Flure mit neuen Fluchtpunkten. Es wirkt, als gäbe es weder Ein- noch Ausgang, weder Anfang noch Ende. Welche Rolle spielen Raum und Zeit in deiner Arbeit?

TKM: Genau, ich habe sogar in mehreren Zentren gefilmt und diese dann in der Arbeit zu einer einzigen architektonischen Struktur verschmelzen lassen. Ich wollte eine Art fiktives Stadtbild entwerfen, in dem sich das öffentliche Leben nur noch in und um das Einkaufszentrum abspielt, auf rein privatem Gelände also. Ich habe die Aufnahmen so geschnitten, dass sich gewisse Sequenzen ineinander verschachteln und somit an unterschiedlichen Stellen wieder auftauchen. Die Arbeit soll im Loop abgespielt werden. Der Loop ist möglicherweise endlos und vieles gleicht sich, irgendwie ist einem langweilig und gleichzeitig ist man davon benommen, wie bei Grey’s Anatomy.

D20: Abgesehen vom Einkaufszentrum gibt es immer wieder Sequenzen, in denen die Betrachter:innen mit den spiegelglasverkleideten Fassaden der Wolkenkratzer konfrontiert werden. Diese Wahrnehmung einer Stadt durch ihr fragmentiertes Spiegelbild – ein regelrechtes Zerrbild – was lässt das für Rückschlüsse zu auf das Leben der Menschen in ihr?

TKM: Ich würde sagen, dass es mir in diesen Sequenzen eher um die Wahrnehmung selbst geht und dass diese eben davon abhängt, wie man auf etwas schaut und mit welchen Mitteln. Die Kamera „schaut“ über die spiegelnde Fassade des Einkaufszentrums auf die Wolkenkratzer der Stadt. Die Formen dieser Stadt werden durch die Wölbungen der Fassade verändert. Spiegel zu filmen ist meine Passion. Mir gefällt der indirekte Blick auf sich selbst oder die Umgebung, sowie die Verdoppelung dieses Phänomens beim Betrachten des Films.

D20: Marc Augé hat Orte wie diese Mall als „Nicht-Orte“ bezeichnet. Tote Transiträume, in denen Menschen oder Waren verschoben werden, losgelöst aus der Geschichte und ohne jede Ortsspezifik. Wie hast du die Bedeutung dieses Ortes wahrgenommen? Haben solche Einkaufszentren im rigide „kommunistisch“ regierten China gar eine andere soziale Funktion als im globalen Westen?

TKM: Die Funktion eines Einkaufszentrums ist es, Menschen anzuziehen und sie so lange wie möglich in sich zu behalten, damit sie so viel wie möglich in verschiedenen Läden kaufen. Ich würde behaupten, dass sich diese Zentren überall der gleichen Grundmechanismen bedienen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Einkaufszentren Privateigentum sind.
Als ich neulich meine Arbeit nochmal anschaute, war ich überrascht, dass mir die Elektroware, die Klamotten und die Schuhe im Film nicht sehr anders vorkamen als diejenigen, die ich einige Wochen zuvor im Gesundbrunnen-Center in Berlin gesehen hatte.

 



Tiphanie Kim Mall (*1987) lebt in Basel und Berlin. Ihre Arbeiten wurden unter anderem bei Schiefe Zähne, Berlin; Kunsthaus Kunstverein Potsdam; der Tank, Basel; Pallazzina, Basel; Fri-Art Kunsthalle Fribourg, Fribourg; Milieu, Bern; Forde, Genf; Kunsthaus Hamburg, Hamburg gezeigt. Seit 2014 ist sie Mitorganisatorin von Curbit, einem Format für experimentelle Musik. Seit 2021 organisiert sie zusammen mit Elisa R. Lynn und Flora Klein den Filmclub im Club der polnischen Versager*innen und wirkt im kollektiven Projektraum Cittipunkt in Berlin mit.

 



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