Mai: TOTAL REFUSAL
"How to Disappear"
Digitalvideo, 21:06 min, 2020
Mit „How to Disappear“ testet das pseudo-marxistische Medienguerrillakollektiv „TOTAL REFUSAL“ die Grenzen des Kriegsspiels „Battlefield V“ aus und setzt sich renitent über die eigentliche Intention des Shooters hinweg – Krieg spielen. Im Versuch, mittels Ungehorsam und Pazifismus dem Code der Entwickler:innen gegenzusteuern, offenbaren sich die Verstrebungen der Videospielindustrie mit der apparativen und kompetetiven Konstitution der Welt im Neoliberalismus.
DOCK 20: Wie ist euer Kollektiv entstanden und wie arbeitet ihr?
TOTAL REFUSAL: Total Refusal ergab sich rund um die Arbeit „Operation Jane Walk“, die eigentlich als Performance geplant war, die wiederum aus dem Spielen eines Videospiels entstanden ist. Um Freikarten für die Diagonale in Graz zu bekommen, haben wir die Kurzfassung dieser Performance eingereicht und von da aus hat das Video eine Weltreise begonnen. Der Inhalt ist eine Stadtführung durch einen Egoshooter. Kurze Zeit später haben wir Michael Stumpf ebenfalls in einem Videospiel kennengelernt und es hat sich eine Freundschaft ergeben. Wir waren an den selben Fragestellungen interessiert und haben uns dann das erste Mal „Total Refusal“ genannt.
D20: Ihr seid alle Gamer:innen und in einem Interview hast du eure Beziehung zum Spielen als Hass-Liebe beschrieben. Wieso macht es Spaß, Krieg zu spielen?
Viele Mainstreamspiele sind in einem kriegerischen Setting angelegt. Und wenn man gegen die Regeln spielt und sie ausweitet, führt das dazu, dass man zwangsläufig etwas Friedliches tut. Es ist natürlich ein bisschen kokett, weil wir schon lange Kriegsspiele gespielt haben. Die Grenzen des Spiels liegen in der Regel irgendwo in Friedensgebieten. Als wir uns in der Pandemiezeit personell verdoppelt haben, kam die Selbstbezeichnung „pseudomarxistische Medienguerrilla“ dazu, weil wir die Wichtigkeit der Kapitalismuskritik innerhalb dieses hyperkapitalistischen Mediums als für besonders fokussierenswert betrachtet haben.
Die Geschichte des Spiels war immer sehr verzahnt mit dem Krieg. Man hat während der Anfänge der Computerspiele in den Neunzigerjahren, bevor sie zum Massenmedium geworden sind, mit Shootern experimentiert. „Counter Strike“ oder „Doom“ zum Beispiel. Die Videospiel-Industrie mit ihren Investment-Budgets ist die bedeutendste Unterhaltunsmedienmaschine und Kriegsspiele haben sich als eine Best Practice etabliert. Wenn in den Neunziger Jahren der Kommunismus oder der reale Sozialismus nicht untergegangen wären, dann hätte man vielleicht eine andere Form von Gameplay entwickelt als in kapitalistischen Ländern. Warum das Spaß macht? Ja, weil es im Krieg immer um etwas geht: Leben und Tod, gewinnen oder verlieren. Ob es gut ist, dass unsere gesamte Spieleindustrie sich so monothematisch darauf fokussiert, ist eine andere Frage. Es ist sehr undivers und schließt aus der Genderperspektive betrachtet die Hälfte der Menschheit aus.
D20: Inwiefern wird durch das Fehlen der Möglichkeit des Desertierens im Spiel eine Form von Männlichkeit reproduziert, weil die Spieler sich diese Frage gar nicht stellen müssen, wenn sie das Spiel spielen? Es gibt die Option des „unmännlichen“ Verhaltens nicht.
TR: Das Videospiel leidet an denselben Strukturproblemen wie der Mainstream der Blockbusterfilme. Hier geht es um die Wiederholung von Stereotypen, Klischees, weil das Bilder sind, die jede:r kennt. Die Marketingpsychologie besagt, man soll sich auf Bewährtes konzentrieren, um die Massen abzuholen und um in Folge Gewinne zu erzielen. Das ist der Grund, weshalb die meisten Spiele existieren. Dementsprechend wird auch ein Klischee von Männlichkeit und Weiblichkeit im Computerspiel reproduziert - in der Regel geht es dann um Tapferkeit und Hypermaskulinismus. Das ist das große Problem der Videospielindustrie. Es gibt zwei Männertropen, die tatsächlich bedient werden: Das eine ist der männliche Geek, der in seinem Gebiet extrem gut ist. Und es gibt diesen hypermaskulinistischen Kampfpanzer-Mann. Auch wenn Spielfirmen entscheiden, dass man zwischen weiblichen und männlichen Charakteren auswählen kann, ändert sich faktisch nichts, weil das Gameplay den Spielmechaniken folgt und die Bilder weiterhin so inszeniert werden, wie sie vorher auch inszeniert worden sind.
D20: Im Video wird betont, dass es für Deserteure des Zweiten Weltkriegs eigentlich keine kollektive Form der Erinnerung gibt und auch keine Erinnerungsorte. Kann man das Erinnern an das Desertieren als widerständige Praxis in ein Videospiel implementieren?
TR: Der Widerstand beziehungsweise das Nichtkämpfen ist gegen die Regeln. Die Regeln kommen von den Entwickler:innen, das heißt, man würde sich gegen die Intentionen der Entwickler:innen stellen. Es gibt unendlich viel Designentscheidungen, die die Spieler:innen an der Leine halten. Natürlich sollte der Weltkrieg, besonders der Zweite und andere Ereignisse der Geschichte ganz anders beleuchtet werden. Die Wehrmacht ist keine Armee, wie alle anderen, sondern Teil des größten Verbrechens der Geschichte der Menschheit, und trotzdem ist es im Spiel eine vermeintlich recht leiwande Truppe, in die man dann einfach so eingeteilt wird, genauso wie bei den Alliierten. Die Wehrmachtssoldaten sind zur Hälfte gegendert, das sind dann Werhmachtssoldatinnen. Bevor man sich darüber freut, das alles sehr "woke" ist, muss bedacht werden, dass insbesondere dieser Krieg zu einem depolitisierten Spektakel gemacht wird. Wir versuchen „How to Disappear“ am Deserteursdenkmal in Wien am Heldenplatz dieses Jahr noch öffentlich zu screenen.
D20: Im Spiel ist es unmöglich, Teamkolleg:innen durch „Friendly Fire“ zu verletzen und sie somit für potenzielles Fehlverhalten zu bestrafen. An die Stelle der Strafe tritt im Spiel der Wettkampf.
TR: Das haben wir dem Liberalismus zu verdanken, der die Konsensideologie innerhalb von Spielen ist. Spiele werden für einen hauptsächlich männlichen, westlichen mittelständigen Markt entwickelt. Auch wenn man in der griechischen Antike spielt oder im Ersten Weltkrieg, schwingen die liberalen Werte trotzdem mit. Sehr viele Spiele vermitteln das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmtheit. Das ist die hohe Kunst der Videospiele, die sie sehr gut beherrschen. In Wahrheit ist sehr klar definiert, was zu tun ist, aber es fühlt sich alles so an, als wäre es die eigene Entscheidung. Und so funktioniert der Neolieberalismus. Es gibt wahnsinnig viele Zwänge, aber sie sind undurchsichtig, subtil und patronisierend. Es fühlt sich an, als hätte ich alle Entscheidungen der Welt. Aber natürlich ist das Gameplay in der Regel sehr stark eingeschränkt. Das Spiel nimmt mich die ganze Zeit an die Leine, ohne dass ich es merke. Eine Metapher für unser politisches System, innerhalb dessen das Spiel kreiert wird.
D20: Wie seid ihr bei euren „Dreharbeiten“ anderen Onlineplayern begegnet? Gab es Gespräche oder Austausch darüber, was ihr da gerade macht?
TR: Für „How do Disappear“ haben wir uns in „Battlefield V“ eingeloggt. Wir hatten keine eigenen Server, daher mussten wir uns immer in allgemeine Server mit anderen Spieler:innen reinladen, das hat natürlich immer zu einer sozialen Interaktion geführt. Meistens wurden wir im Dreh abgeschossen, es gab Szenen, in denen wir bis zu fünfzig Mal umgebracht worden sind. Das war sehr nervenaufreibend, deshalb haben die Szenen teilweise sehr lange gedauert. Es gibt eine Szene, in der wir uns um einen Nazioffizier herumdrehen, und da ist dann plötzlich ein fremder Spieler aufgetaucht und hat mit uns mitgemacht. Das war ein tolles Ereignis. Der Offizier dagegen hat sich geärgert, dass wir nicht korrekt spielen. Es gibt einerseits diejenigen Spieler:innen, die es interessant finden, dass sich eine Gruppe von Spielenden zusammenrottet, die etwas anderes tut. Sie wollen dann Teil davon sein. Und dann gibt es diejenigen, die den Ernst des Spiels im Moment für sehr wichtig nehmen. Die finden das schlecht, denn dadurch ist die Balance zwischen den beiden Teams mit jeweils 32 Spieler:innen sehr in Mitleidenschaft gezogen. Wir störten unzählige Spiele dadurch, auch diejenigen von anderen Spieler:innen, weil wir währenddessen gedreht haben – sie haben uns dann auch sehr oft abgeschossen.
Das Künstler-, Forscher- und Filmemacher*innen-Kollektiv und pseudo-marxistische Medienguerilla Total Refusal (Susanna Flock, Adrian Haim, Jona Kleinlein, Robin Klengel, Leonhard Müllner, Michael Stumpf) interveniert in aktuelle Videospiele und schreibt Texte über Games und Politik, u.a. in der MALMOE. Seit 2018 wurden ihre Filme und Arbeiten mit 31 Preisen (und 11 lobenden Erwähnungen) ausgezeichnet, u.a. mit dem Diagonale Filmpreis für die beste Kurzdoku, dem Förderpreis für Bildende Kunst des Landes Steiermark und dem Vimeo Staff Pick Award. Die Arbeiten von Total Refusal wurden auf mehr als 240 Film- und Videofestivals wie der Berlinale (2020), der Doc Fortnight im MOMA New York und der IDFA Amsterdam (2018) gezeigt und waren in verschiedenen Ausstellungsräumen wie der Architekturbiennale Venedig 2021, der HEK Basel (2020) und der Ars Electronica Linz (2019) zu sehen.
Credits
Direction/ scriptwriting/ production: Total Refusal (Robin Klengel, Leonhard Müllner, Michael Stumpf)
Text: Robin Klengel, Michael Stumpf
Cinematography: Michael Stumpf
Sound recording: Michael Stumpf
Sound design: Bernhard Zorzi (Blautöne)
Editing: Leonhard Müllner
Music: Adina Camhy
Production design: DICE
Title design: Michael Stumpf
Subtitles: Franz-Josef Windisch-Graetz