September: Ulrike Rosenbach

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"Mutterliebe", Video, 5:01 min, 1977

Die Nahaufnahme des kindlichen Gesichts wird wieder und wieder verdeckt durch Liebkosungen und Küsse, die schrammenartige Spuren auf dem kleinen Kopf hinterlassen. „Mutterliebe" ist eine von mehreren Arbeiten der deutschen Video- und Performancekünstlerin, in denen sie das Verhältnis zu ihrer Tochter Julia thematisiert. Das Video zeigt exemplarisch die Konfliktlinien entlang der Rollen als fürsorgliche Mutter, Feministin und Künstlerin, die in den 1970er-Jahren verstärkt in politischen Kreisen diskutiert wurden und auf der individuellen Ebene zu keiner Zeit an Aktualität eingebüßt haben.

 

DOCK 20: Frau Rosenbach, Sie haben an der Kunstakademie in Düsseldorf studiert – in den späten 1960er-Jahren noch ein ziemlicher Männerverein. Auf der einen Seite waren Sie damit am Nabel der damaligen deutschen Avantgarde, was Performancekunst und Happenings anging.  Andererseits, und ich denke auch an den US-amerikanischen Raum, wurden Frauen in diesen Kunstformen oftmals mit äußerst passiven Rollen versehen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt und was hat Sie am Medium Performance bzw. Happening fasziniert? Wann kam das Video ins Spiel?

Ulrike Rosenbach: Düsseldorf war in den frühen siebziger Jahren ein renommierter Ort für die Avantgarde der Kunstwelt mit Konzeptart und anderen frühen Aktionsformen, die von Joseph Beuys und anderen Künstlern der Fluxus/Happeningszene in Düsseldorf konzipiert wurden. Ich fand andere junge Studentinnen mit ähnlichen Interessen, zusammen bildeten wir eine Gruppe für neue feministische Aktionsformen.

Wir Studentinnen waren begeistert von Caroline Schneeman. Prozessuales Vorgehen passte perfekt zu meinen frühen plastischen Objekten für den Körper (z.B. Haubenobjekte von 1970–73) Mit Video konnte ich Körperbewegungen selbst aufzeichnen und kurze Studioperformancestücke produzieren. Meine Kommunikationsbereiche lagen nach 1972 außerhalb der Kunsthochschule. Ich hatte von Vito Acconci und anderen frühe „body art „Performanceaktionen in New York und LA kennen gelernt.


D20: In die Zeit Ihres Studiums fällt auch der Beginn der Zweiten Frauenbewegung in Westdeutschland – 1968 gab es den berühmten „Tomatenwurf“ in Frankfurt am Main und typisch für diese Jahre waren die Gründungen vieler feministischer Frauengruppen, die sich sowohl theoretisch als auch aktivistisch für die Rechte von Frauen einsetzten. Wie wurden diese Debatten in Künstler:innenkreisen geführt? Oder gab es diese Trennung damals gar nicht?

UR: 1969/1970 studierte ich an der Akademie der Künste in Düsseldorf. Es war die Zeit der
Studentenbewegungen und ich selbst war 2. Vorsitzende des AStA [Allgemeiner Studierendenausschuss].
Dann kam die Frauenbewegung innerhalb der Studentenbewegung dazu, deren Thematik für mich natürlich einen großen Reiz hatte.

Etwas später las ich Lucy Lippards „From the Center: Feminist Essays on Women’s Art” (1976), welches eines der ersten Bücher über Künstlerinnen war. Ich habe dann mit Lucy Kontakt aufgenommen, die damals bereits in New York ein „Women’s Art Desk“ gegründet hatte. Dort wurden die Kontaktadressen von Avantgarde-Künstlerinnen meiner Generation gesammelt, von Yoko Ono als der Ältesten bis zu mir als der Jüngsten. Darüber hinaus hatte Lucy eine Wanderausstellung durch Universitätsgalerien der USA organisiert, sie hieß „1.000 Miles from Here“. Unser Protest war begründet auf der Tatsache, dass zu wenige Künstlerinnen in Galerien und Sammlungen vertreten waren und nur jede Fünfte von ihnen eine singleshow/Ausstellung in einem Museum bekam. Ich war, wie Sie sehen, sehr interessiert an der amerikanischen Szene der jungen Künstlerinnen zu der Zeit.

D20: Können Sie etwas erzählen über Ihre Aufenthalte in den USA und ihre Arbeit mit Judy Chicago? Inwiefern hat diese Zeit sie als feministische Künstlerin geprägt, sowohl in politischer Hinsicht als auch im Hinblick auf ihr künstlerisches Vokabular?

UR: Ich habe nie mit Judy Chicago persönlich zu tun gehabt. Ich hatte einen Lehrauftrag an CAL Arts für das Fach Feminist Arts and Media Arts in den Studios von John Baldessari, der dort Professor war. Judy Chicago hatte Cal Arts als Lehrerin zu dem Zeitpunkt bereits verlassen und John Baldessari hatte für ihre Studentinnen ein „Feminist Art Board“ initiiert, damit ihre Arbeit in etwa fortgesetzt werden konnte.

Zusammen mit Suzanne Lacy, ihrer Schülerin, die ich kennen gelernt hatte, schuf JC für das Womens Building in LA ein System des authentischen kreativen Arbeitens für Frauen. Es bestand aus drei Arbeitsbereichen: Selbsterfahrung (eine wichtige Strategie aus der modernen Therapie), Studium der weiblichen Kunstgeschichte und dem eigenen Gestalten. Diese Arbeitsentwürfe übernahm ich später in Köln für meine Gruppen „Schule für kreativen Feminismus“ (von 1977 bis 1982).

D20: Ab dem Moment der Geburt Ihrer Tochter spielt Mutterschaft wiederkehrend eine Rolle in Ihren Videoarbeiten. „Mutterliebe“ ist eine sehr präzise Abbildung ambivalenter Gefühle innerhalb der Mutter-Tochter-Beziehung. Auf der einen Seite die Zuneigung, auf der anderen Seite die Gewalt, die jeder Form von Mütterlichkeit innewohnt. Bereits 1972 haben Sie in der Arbeit „Einwicklung mit Julia“ die Zwänge und Abhängigkeiten, die zwischen Mutter und Kind bestehen, visualisiert. War die Kunst eine Möglichkeit, einen Umgang zu finden mit diesen Bedürfnissen/Zwängen/Herausforderungen in dieser neuen Position zu dieser Zeit?

UR: Nein, sicherlich nicht. Meine Werke sind nicht programmatisch. Diese Arbeit zeigt, wie Sie selbst sagen, die Ambivalenz, die Vielseitigkeit mütterlicher Liebe. Und dann ist ja auch eine malerische Komponente dabei. Die vielen verschiedenen Rottöne nehmen der Arbeit jede Aggressivität. Es ist keine Dokumentation, sondern eine künstlerische Umsetzung des Konzeptes.

D20: Gab es andere Video- und Performancekünstlerinnen in dieser Zeit, an denen Sie sich orientiert haben oder die Ihnen als Inspiration dienten? Wie wurden Ihre Arbeiten, die nicht nur Mutterschaft, sondern die Rolle der Frau in der Gesellschaft generell in den Fokus stellten, rezipiert und bewertet?

UR: Das war eher nicht der Fall. Ich hatte meine eigenen Ideen über das Thema meiner Arbeiten. Video war komplett neu in Deutschland. Ich erfand meine eigenen biografischen geprägten Arbeiten. In der von Männern geprägten Kunstwelt in Deutschland war es schwierig, sich mit feministischen Themen einen Namen zu machen. Ich arbeitete fast ausschließlich mit Frauen als Kuratorinnen und Galeristinnen zusammen. Außerdem war ich eher im Ausland mit meinen Performances unterwegs.

D20: Eine persönliche Frage zum Abschluss: Sie haben die „Schule für kreativen Feminismus“ gegründet und als Dozentin und Rektorin einer Kunstuniversität langjährige Erfahrung und Einblicke in die junge Welt der Kunst. Was ist Ihre Einschätzung zur feministischen Kunst der Gegenwart?

UR: Die neue junge Szene steht auf dem Fundament der Errungenschaften der Künstlerinnen in den siebziger Jahren. Sie hat ihre Forderungen dort, wo wir damals aufgehört haben. Die Forderung „Mein Körper gehört mir“ ist zwar nicht neu und vor allem in der Punkszene des späten 20. Jahrhunderts begründet, aber sie wird von den jungen Frauen zum Extrem weiter postuliert. Klar ist auch, dass die historische Rolle der Frau, die auf ihren Körper reduziert ist, komplett auf den Kopf gestellt wird durch die Art und Weise der Selbstdarstellung junger Frauen – auch der Künstlerinnen.

 

Biografie

 

Ulrike Rosenbach, geboren studierte von 1964 bis 1970 Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf K.Bobeck, Norbert Kricke und Joseph Beuys. Durch ihr Studium bei Joseph Beuys entstanden erste Kontakte zur Happening- und Fluxusszene der siebziger Jahre. 1971 wird Ulrike Rosenbach auf der Ausstellung prospect 71 in der Kunsthalle Düsseldorf auf Video als künstlerisches Ausdrucksmittel aufmerksam. 1972 beginnt sie, selbst mit Video zu arbeiten und produziert unter anderem erste Live-Video-Aktionen.

Ihre frühen Performances, in denen sie Videos im closed-circuit-Verfahren einsetzt, finden internationale Anerkennung und lassen sie zur renommiertesten deutschen Videokünstlerin werden. 1973 bis 1976 reiste Rosenbach mehrfach in die USA und kam verschiedenen Lehraufträgen nach, unter anderem für feministische Kunst und Videokunst am California Institute of Arts (CalArts), Valencia. 1976 gründete sie die bis 1982 bestehende „Schule für kreativen Feminismus“ in Köln.

Als politische Künstlerin setzt sich aktiv für die Gleichberechtigung von Künstlerinnen im internationalen Kunstbetrieb ein. 1977 und 1987 nahm sie an der documenta 6 und 8 teil, Lehraufträge und Gastprofessuren führten sie an verschiedene europäische Institute, u.a. an die Hochschule der Künste Berlin, die Hochschule für Angewandte Kunst Wien und die Universität Utrecht. Von 1989 bis 2007 war Rosenbach Professorin für Medienkunst an der Hochschule der Bildenden Künste Saarbrücken, (als Rektorin bis 1993) .

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