November: Clemens Tschurtschenthaler

“serenade”, Digitalvideo, 8:00 min, 2024

 

 

Gefangen im Doom-Scroll der ästhetischen Perfektion – in Clemens Tschurtschenthalers Videoarbeit „serenade“ werden die Betrachter:innen mit dem mächtigen Bildregime der Stockbilder und -videos konfrontiert. Glanzvolle, perfekt proportionierte Körper und Objekte des Begehrens lösen alarmierend leicht einen Tunnelblick aus. Untermalt von einem klanggewaltigen Sound und den Mantren der Selbstoptimierungsökonomie, stellt die Arbeit Wahrnehmungsmuster und Sehgewohnheiten zur Schau. Eine entleerte Bilderwelt technischer Exzellenz, deren Motive den postmodernen Hunger nach cineastischen Erfahrungen in der oft monotonen Wirklichkeit stillen.

 

DOCK 20: In deiner Arbeit, so ist mein Eindruck, befasst du dich stark mit dem Konzept von Performance. Ein Rennpferd, ein Sportwagen, Gipfel, die es zu erklimmen gilt und die Sonne als Symbol der Energie schlechthin. Wo liegt dein Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung?

Clemens Tschurtschenthaler: Performance und Leistung haben viel mit Wertigkeit zu tun und sind eine Kombination aus erlernten Idealvorstellungen, Umgebungsdruck und vielleicht auch tief schlummernden Ur-Instinkten. Die Bildsprache in „serenade“ ist stark idealisiert, Natur und Technik sind als hyperästhetische Entitäten inszeniert, die die Vorstellungen und Erwartungen an das Selbst definieren und formen können. Das gezielte Verführen ist der Grundgedanke der Arbeit und damit eine Art Manipulation von wahrgenommener Wirklichkeit. Die Bilder sind präzise Abbildungen von Wirklichkeit, aber gleichzeitig auch leere und abstrakte Hülsen, die zur Projektionsfläche individueller Erfahrungen, Sehnsüchte und Spannungen werden. Die Arbeit ist als großformatige Videoinstallation mit raumfüllender Soundkomposition konzipiert und gezeigt worden. Ich wollte eine Situation zu erzeugen, in der tranceartige, beinah hypnotische Zustände entstehen, ähnlich einer sakralen Erfahrung, die durch Chor, Orgel, Architektur oder eine Landschaft herbeigeführt werden kann. Die hyperästhetischen Slow-Motion-Bilder in Kombination mit der Soundkulisse erwecken künstlich innere Sehnsüchte und befriedigen sie zur selben Zeit, um Betrachter:innen in den Bann der Arbeit zu ziehen.

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D20: Das gesamte Bildmaterial für die Arbeit hast du von Stock-Plattformen. Sie stellen vorgefertigtes Bild- und Videomaterial bereit, dass Benutzer:innen für ihre Zwecke kaufen und verwenden können. Welchen Einfluss, denkst du, hat diese Picture-On-Demand-Kultur für visuelle Kommunikation und Medienkunst?

CT: Die Frage ist spannend, weil sich für mich in weiterer Konsequenz die Frage nach Realität eröffnet. Die Bilder, die mich umgeben, erzeugen meine Realität. Stock-Footage entsteht, um eine Nachfrage zu stillen; die Nachfrage nach repräsentativen Bildern für gewisse Zwecke. Gleichzeitig erzeugt und formt Stock-Material Trends und beeinflusst somit ästhetische Standards in der Kultur und im visuellen Zeitgeist – es entstehen neue Ikonen und Symbole. Für mich führt in der Arbeit mit Stock-Footage oft ein Bild zum nächsten, ich lasse mich in gewisser Weise von den Bildern leiten und es entsteht eine Art Kollaboration mit dem Material, eine Zusammenarbeit mit mir unbekannten Urheber:innen. Das Material formt das Werk mit.

D20: Bewegt man sich in den Kreisen der sozialen Medien, trifft man unweigerlich auf Performance-Coaches, Trainer:innen für Mindsets und andere Lebensberater:innen. Sie machen einer:einem schnell klar, dass man selbst an dem Elend des eigenen Lebens schuld sei. Das Internet hat sich zu einem digitalen Über-Ich entwickelt, dass permanent auf seine User:innen einhackt. Wie ergeht es dir damit?

CT: Ich muss hier immer an Tribalismus und Revierverhalten denken. Wir sind alle kategorisiert und Teil verschiedener Datenpools. Die virtuelle Blase, die eine:n fest im Griff hat und die die Echokammer der vermeintlichen Interessen und Ansichten intakt hält. Der virtuelle Raum ist fester Bestandteil unserer Lebensrealität und durch die individuelle Bespielung mithilfe von Algorithmen erlischt eine sogenannte „gemeinsame Wahrheit“ immer mehr.

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D20: Der atmosphärische Sound der Arbeit stammt von dir. Ein dicht gewebter Klangteppich, der mich an die Soundtracks großer Hollywoodproduktionen à la Hans Zimmer erinnert. Eine Soundklammer, die die Bilder in einen kontinuierlichen Fluss einbettet. Ich weiß, dass du auch im vergangenen Jahr eine Installation angefertigt hast, die den Sound als immersive Komponente nutzt. Kannst uns über deine Arbeit mit Sound als künstlerischen Medium erzählen?

CT: Die performative Qualität, die im Sound liegt, finde ich extrem spannend und verlockend. Emotionen sind direkt abrufbar wie in keinem anderen Medium, der Klang „beseelt und animiert“ die Objekte, Bilder und den (filmischen) Raum. Durch den Klang ergibt sich zudem die zeitliche Ebene. Eine Installation wird mit Hilfe von Sound zu einer Situation und kann wie eine Art Theaterstück, ein Film oder auch ein Album gedacht und inszeniert werden.
Ich bin mit dem Musikmachen aufgewachsen und produziere seit meiner frühen Jugend. In den letzten Jahren hat die Arbeit mit Sound auch in meinen Installationen und skulpturalen Arbeiten immer mehr Raum eingenommen. Sound erlaubt es mir, intuitiver zu arbeiten als im skulpturalen Bereich. Die Musik funktioniert direkter, sie braucht keinen Kontext und erzeugt Emotionen unmittelbar.

D20: Bedienst du dich in diesem Moment nicht an genau dem Werkzeug, dessen Potenzial zur Manipulation du auf der Bildebene konfrontierst?

Ja, ich glaube im Produktionsprozess der Soundkompositonen ist es genau das, was es spannend macht. Die Kontrolle „abzugeben“ und sich in gewisser Weise vom Sound leiten lassen. Das Resultat trägt dann in der Rezeption wieder stark zum – wie du es genannt hast – Potenzial zur Manipulation, der hypnotisch bezirzenden „Kraft“ der Arbeit bei.
Der physische Teil der Arbeiten ist meist recht fortgeschritten, wenn ich mit dem Sound beginne. Ab dem Zeitpunkt aber, begleitet die Arbeit am Sound das räumlich-installative Arbeiten und die beiden Ebenen, das Immaterielle des Klangs und das Materielle der Objekte, beginnen sich gegenseitig zu beeinflussen. Sound führt dazu, dass die eigene Körperlichkeit im Raum präsenter wird und die Atmosphäre, die durch ihn geschaffen werden kann, intensiviert die materielle und skuplturale Ästhetik und kann narrative Momente in statischen Objekten und Räumen erzeugen.

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Clemens Tschurtschenthalers Praxis ist von einem stark medienübergreifenden Ansatz geprägt. Er arbeitet sowohl mit Objekt und kinetischer Skulptur als auch mit immateriellen Medien wie Sound und Video, die er in raumgreifenden Installationen arrangiert. Die Schwelle zwischen Ego und Gruppe – dem Selbst und der Umgebung – bildet die Basis für die Formulierung seiner skulpturalen Sprache die zwischen Gegenwärtigem und Vergangenem sowie zwischen physischer und immaterieller Präsenz oszilliert. Die Dualität von Natürlichem und Artifiziellem ist zentrales Elemente in Tschurtschenthalers Arbeit. Er konstruiert Realitäten die innere psychologische Welten ins Außen übersetzen.

Clemens Tschurtschenthaler (*1988 in Meran, IT) lebt und arbeitet in Wien wo er 2021 sein Studium der Medienkunst an der Universität für angewandte Kunst abschloss. Einzelausstellungen unter anderem 2024, LIMBUS im Display Parma (IT); 2023, Nature Is Mental im Cache Wien, (AT); 2022, Café Memoriam im Ve.Sch Kunstverein Wien (AT); 2021, INVERSO im DWDS Bregenz (AT). Gruppenausstellungen unter anderem 2023, speculare im Eck Museum of Art Bruneck (IT); 2021, building the barn im Kunstverein Schattendorf (AT); 2019, set_of_invalid_context im LLLLLL Verein für Kunst Wien (AT). 2022 wurde dem Künstler der Kunstförderpreis der Raiffeisen Landesbank Südtirol verliehen.

​Interview: Anne Zühlke

 

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